Wissen

20.11.19

«Infernalische Lichtattentate»

Nur wenige Erfindungen haben die urbane Nacht so geprägt wie die Leucht­reklame.
zVg Kunstmuseum Basel, Julian Salinas / alamy
Das Fuss­ball­stadion in Mün­chen, im Volks­mund «Schlauchboot» genannt, leuchtet je nach Situation oder Gegner in unter­schied­­lichen Farben.

Als der St. Moritzer Hotelier Johannes Badrutt an Weih­nachten 1878 sein Hotel Kulm erstmals in elektrischer Fest­beleuchtung erstrahlen liess, verkündete er kilometer­weit: «Hier sind der Luxus und die modernste Technologie zu Hause.» Mittler­weile ist Leucht­werbung so dominant, dass nur noch spezielle Ideen wie das «Schlauchboot» genannte Fuss­ball­stadion in München Aufsehen erregen. Es leuchtet, wie auch das Basler «Joggeli», je nach Match oder Gast­mann­schaft in unterschiedlichen Farben.

 

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Die Leucht­schrift am Neu­bau des Kunst­museums Basel ist ein Sys­tem der neusten Generation, bei dem sich tags­über der Stein der Fassade zu verfärben scheint.

 

Pionier­stadt der «Lichtwerbung» war ab 1896 Berlin. Von 1907 an baute der Konzern AEG «Elektrographen-Anlagen», mit oft mehreren Tausend, teilweise farbigen Glüh­birnen, die durch clevere Schaltungen einzeln angesteuert werden konnten. Dadurch wurden farbige, bewegte Bilder möglich, aber auch laufende Schrift­bänder mit Nach­richten und Sport­resultaten.

 

Viele Exponate auf dem «Neon Bone Yard» wurden nicht mit Neon­röhren, sondern mit Tau­senden von klas­sischen Glüh­birnen betrieben – mit einem gewaltigen Stromkonsum.

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In Las Vegas landen aus­rangierte Leucht­reklamen wie dieser riesige Schuh auf der «Neon Bone Yard», dem Friedhof der Neonreklamen.

 

Die Designer des Bauhauses und der «Roaring Twenties» nahmen die neuen Gestaltungs­möglichkeiten mit Licht und Werbung begeistert auf. Architekten jener Zeit be­zeich­neten Licht als den wichtigsten neuen Bau­stoff, während Gegner gegen die «Dolchstiche ins Auge» und «infernalischen Lichtattentate» wetterten, die «Gehirnaffektionen» hervor­rufen würden. So schlimm war es dann doch nicht, und einige noch erhaltene historische Anlagen stehen in Deutschland mittler­weile unter Denk­mal­schutz. Moderne LED-­Systeme eröffnen noch viel mehr Mög­lich­keiten. Am Neubau des Kunst­museums Basel heben winzige LED-Lämpchen den Schatten­wurf des Stein­reliefs der Fassade auf. Damit scheint sich tagsüber der Stein der Fassade zu Buch­staben zu verfärben, und bei Dunkelheit schweben grosse Leucht­buch­staben durch die Nacht.

 

Leucht­reklamen sind der Inbegriff der Gross­stadt, wie hier in Shanghai.
Das Etablissement «Le Moulin Rouge», eröffnet im Jahr 1889, war einer der Pioniere der Leucht­reklame in Paris.
Die «Löffel­familie» in Leipzig ist Kult. Sie warb zu DDR-­­Zeiten für eine Kon­­ser­ven­­fabrik. Die bewegliche Wer­­bung wurde in den letzten Jah­ren mit Spen­­den saniert und leuchtet aufgrund hoher Strom­­kosten nur wenige Stun­­den am Tag. Doch Fans können die Löffel­­familie per SMS zum Löffeln animieren.

 


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