Wissen
09.09.20
Die Hand greift nach dem Glas und hebt es an. Eine natürliche Bewegung, die jeder kennt. Langsam legen sich Daumen, Zeige-, Mittel- und Ringfinger um das Gefäss, behutsam nur, der Druck darf nicht zu gross werden. Der kleine Finger bewegt sich weiter und schiebt sich unter das Glas, bis dieses richtig «festsitzt». Jetzt erst hebt die Hand das Glas an. Es handelt sich um die gleiche Bewegung, ausgeführt von einer künstlichen Hand, einer sogenannten Hightech-Prothese. Was den Beispielen gemein ist: In beiden Fällen wird ein elektrisches Signal benötigt, um die gewünschten Bewegungen überhaupt auszuführen.
Ohne elektrische Unterstützung geht’s nicht
Für die Übermittlung von Botschaften im menschlichen Körper ist das Nervensystem zuständig. Es besteht aus einer Vielzahl von Nervenzellen und einer noch grösseren Zahl an Nervenfasern, welche den Körper als Leitungsbahnen durchziehen. Die Grundeinheit des Nervensystems ist die Nervenzelle, Neuron genannt. Innerhalb eines Neurons werden die Botschaften durch elektrische Signale übermittelt, die Übertragung zwischen Neuronen erfolgt über chemische Botenstoffe. Jede unserer Bewegungen ist auf eine solche Übermittlung von Botschaften zurückzuführen. Auslöser ist entweder ein bewusster Impuls – im Beispiel ist es der Wunsch, das Glas zu heben – oder ein externer, mechanischer Reiz wie eine Berührung oder ein Geräusch. Sobald die betroffenen sensorischen Nervenzellen den Impuls oder Reiz erhalten, senden sie elektrische Signale aus. Die Neuronen im Rückenmark verarbeiten die Botschaft und geben sie an die peripheren, motorischen Nervenzellen und schliesslich an Muskelzellen weiter, die sich daraufhin zusammenziehen – kontrahieren im Fachjargon – und so eine Bewegung erzeugen. Im Gegensatz zur natürlichen Muskelsteuerung mit körpereigenen elektrischen Signalen sind bei modernen Hightech-Handprothesen Elektroden am Armstumpf angebracht. Sie messen die Aktivität des Muskels, der eigentlich für die Handbewegung zuständig wäre. Weil die natürliche Hand aber fehlt, wird der Muskel als Schnittstelle genutzt, um die Prothese anzusteuern. Trägerinnen und Träger einer solchen Prothese müssen erst lernen, die gewünschten Bewegungen richtig und kontrolliert auszuführen. Geben sie beispielsweise zu früh einen Impuls zum Öffnen der künstlichen Hand, riskieren sie, dass ihnen das Glas zu Boden fällt.
Futuristisch ja, alltagstauglich nein
Im Internet kursieren zahlreiche Videos von beinahe echt aussehenden «Roboterhänden», die selbst feinmotorische Bewegungen scheinbar mühelos meistern. Die Technik, so der Eindruck, ist bereits so weit fortgeschritten, dass der Weg zu einer vollständig funktionsfähigen künstlichen Hand, die einer natürlichen in nichts nachsteht, nicht mehr weit ist. Diese Annahme täuscht, wie Robert Riener, Professor für sensomotorische Systeme an der ETH Zürich, erklärt: «Einerseits sind solche Prothesen immer noch fehleranfällig, weil sowohl die Messung der Muskelaktivität als auch die Motorisierung des Geräts meist zu wenig gut funktionieren und nicht zuverlässig genug sind.» Andererseits ziele die Entwicklung der Geräte nach wie vor an den eigentlichen Bedürfnissen der betroffenen Menschen vorbei. «Viele Prothesen sehen zwar cool aus, und es stecken die neusten Technologien dahinter, aber alltagstauglich sind sie eben nicht.»
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Prothesen werden immer raffinierter und einfache Bewegungen lassen sich vom Hirn aus schon direkt steuern. |
Ein Umstand, dem Robert Riener und sein Team entgegenwirken wollen. Sie ziehen Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen für ihre Forschungsarbeit hinzu, schliesslich sollen die Geräte den Alltag der Betroffenen wirklich erleichtern. Momentan arbeitet das Team vor allem an der Weiterentwicklung von Orthesen, also körperexternen Stützapparaten wie Schienen und Exoskeletten. Im Gegensatz zu Prothesen ersetzen Orthesen verloren gegangene Körperstrukturen (Hände, Arme, Beine) nicht komplett, sondern nur teilweise; sie unterstützen motorische Funktionen.
Assistenz für gesunde Menschen?
Orthesen und Prothesen sind keine neuen Erfindungen. Seit jeher versucht der Mensch, schwache und beeinträchtigte Körperteile zu unterstützen respektive fehlende zu ersetzen. Stöcke und Krücken sind naheliegende Beispiele. Der Fokus auf die Alltagstauglichkeit solcher Assistenzsysteme aber ist relativ neu. Um Innovationen in diesem Bereich voranzutreiben, hat die ETH Zürich unter der Federführung von Professor Robert Riener im Jahr 2016 den Cybathlon ins Leben gerufen. Die zweite Austragung dieses Wettkampfes für Menschen mit Beeinträchtigungen findet aufgrund der Corona-Krise statt im Mai erst im September 2020 statt (siehe Box). Wer den Teilnehmenden dabei zusieht, wie sie mit einem künstlichen Bein die Treppe hochgehen, fragt sich, ob in Zukunft auch gesunde Menschen auf assistive Technologien setzen werden – etwa, weil Prothesen im Gegensatz zu Muskeln nicht ermüden. Robert Riener winkt ab: «In den nächsten Jahrzehnten wird es noch keine Geräte geben, die in der gesamten Breite der möglichen Bewegungsfunktionen besser funktionieren als der Mensch. Der ‹Terminator der Zukunft› ist noch in weiter Ferne.» Zudem sei der Einsatz fragwürdig, wenn der Körper dafür verändert werden müsste, beispielsweise durch eine Amputation oder eine chirurgische Implantation.
Ein weiterer Grund, weshalb der kommerzielle Einsatz von technischen Assistenzsystemen, falls überhaupt, Zukunftsmusik ist: Die Geräte sind sehr teuer und werden von vielen Invaliden- oder Krankenversicherungen nicht bezahlt. Umso wichtiger ist es gemäss Robert Riener, in Forschung und Weiterentwicklung zu investieren. Nicht nur höhere Stückzahlen machen die Produkte kostengünstiger. Auch neue Modelle tragen dazu bei, dass heute unbezahlbare Prothesen in einigen Jahren erschwinglich sein werden.
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