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Unser nächster Wald
Ökologie

Unser nächster Wald

Wälder und ihr Holz sind entscheidend für eine zukünftige ökologischere Welt. Doch wie werden sie aussehen?

Kathrin Streit führt durch eine Waldlichtung bei Birmensdorf, in der offensichtlich vor ein paar Jahren Holz geschlagen wurde. Ein Maschendrahtzaun teilt das Areal ab; alte Baumstrünke, wucherndes Brombeergestrüpp, und nur beim ganz genauen Hinschauen sieht man da und dort winzige Bäumchen. Hier hat sie mit ihrem Team vor zwei Jahren einen Versuch gestartet, der zeigen soll, welche Bäume für ein sich erwärmendes Klima am besten geeignet sind. Die Forscher der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf haben dazu Samen aus den natürlichen Wuchsgebieten von 18 ver­schiedenen Baumarten beschafft. Die meisten Samen stammen aus der Schweiz. Hinzu kommen Samen aus besonders warmen und trockenen Lagen in Europa. Denn wenn Baumarten bereits seit vielen Baumgenerationen an trockenen Standorten stehen, können sie sich genetisch an die Trockenheit anpassen und werden trockenresistenter als ihre Artgenossen, die sich an feuchtere Standorte angepasst haben. Buche ist deshalb nicht gleich Buche. Die genetische Variation innerhalb einer Art ist gross.

Schweiz – ein riesiger Buchenwald

Damit liesse sich ein Wald entwickeln, der in einem trockeneren Klima besser gedeiht. Er wird aber nicht unbedingt so aussehen wie der heutige Wald und auch nicht so, wie jener Wald, den es vor 2000 Jahren hier gab. «Ohne Bewirtschaftung wäre das Schweizer Mittelland bedeckt von einem geschlossenen Buchenwald», sagt Kathrin Streit. Das Blätterdach wäre so dicht, dass es kaum einen Sonnenstrahl durchlassen würde und dass darunter auch fast nichts wachsen könnte. Dieser dichte Buchenwald wurde für die landwirtschaftliche Nutzung und den Rohstoffhunger der Industrialisierung geschlagen und durch Misch- und Nadelwälder ersetzt, oft mit grossen Fichtenbeständen. Diese Baum­art würde aber in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet nur in den Alpen vorkommen. Die Fichte ist in der Holzwirtschaft beliebt und wurde deshalb auch im Mittelland gepflanzt, wo sie anfällig ist auf Pilzkrankheiten und den Borkenkäfer. Durch ihre flachen, an der Bodenoberfläche entlanglaufenden Wurzeln ist sie zudem windwurfgefährdet.

Angepflanzt haben die Forscher deshalb einheimische Arten wie Buchen, Eichen oder Eschen, aber auch die nicht einheimischen Baumhaseln oder Atlaszedern. Von jeder Baumart gibt es sieben Samenherkünfte, wovon jeweils vier in einer Fläche getestet werden – bei den Baumhaseln etwa ist es Saatgut von Bäumen aus Serbien, Bulgarien, Ungarn und der Türkei.

Solche Versuche am Wald dauern lange, weil Bäume alt werden. Die meisten Versuche der WSL dauern drei bis fünf Jahre. Es gibt aber auch solche, die auf 50 Jahre ausgelegt sind. Und es gibt Versuchsflächen der WSL, die noch älter sind, etwa jene auf dem Stillberg bei Davos, wo das mittlerweile ebenfalls zur WSL gehörende Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) seit über 60 Jahren Pflanzversuche macht und schon vor mehr als 30 Jahren versucht hat, herauszufinden, wie ein sich veränderndes Klima den Wald beeinflusst und welche Folgen das auf die Lawinensituation hat.

Die Bäume drängen in die Höhe

Denn sosehr wir den heutigen Wald mit «Natur» assoziieren, natürlich ist er nicht. Der Wald wurde in Europa intensiv bewirtschaftet und zum Teil gezielt gepflanzt – vor allem, um die Versorgung mit der Ressource Holz sicherzustellen, ganz im Geist der damaligen Waldbewirtschafter. Offensichtlich werden die unterschiedlichen Vorstellungen von Forstwirtschaft in klimatisch und geografisch ähnlichen Regionen, aber unterschiedlichen Ländern. Im Schwarzwald dominieren Fichtenkulturen, mit etwa drei Prozent Douglasien, die teilweise schon Ende des 19. Jahrhunderts gepflanzt worden sind. Kaum 20 Kilometer westlich, auf der anderen Seite des Rheins, in den Vogesen, gibt es bei praktisch identischem Klima kaum Fichten. Dafür stehen hier schon sehr viele Laubmischwälder, jene Art Wald, die Kathrin Streit für die sinnvollste hält in einem wärmeren Klima.

Baumarten wandern laut Kathrin Streit immer weiter in die Höhe. Diverse Laubbäume drängen ins Gebiet der Buche, Buchen ins Gebiet der Fichte, Fichten und Föhren in jenes der Lärche und der Arve. Die Konkurrenzverhältnisse ändern sich deshalb. Das Team der WSL hat dazu in der ganzen Schweiz 59 Versuchspflanzungen angelegt, um 18 verschiedene Baumarten über einen grossen klimatischen Gradienten hinweg zu testen und herauszufinden, wo sie am besten wachsen. Dabei werden die Baumarten in ihrem heutigen Verbreitungsgebiet sowie bis etwa 800 Meter darüber hinaus getestet. So werden zum Beispiel in Samedan, in den kontinentalen Hochalpen, bereits Laubbäume getestet, die es dort weit und breit nicht gibt. Es ist durchaus möglich, dass diese Bäume da gedeihen.

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Mit einer Machete in der Hand bahnt sich Kathrin Streit den Weg durchs Dickicht – auf der Suche nach neuem Schweizer Wald.

Verwöhnten Bäumen geht’s schlechter

Ähnliche Gedanken macht sich an der WSL auch Marcus Schaub. Er forscht am Pfynwald im Wallis. Das ist einer der grössten zusammenhängenden Föhren­wälder der Schweiz und einer der trockensten Standorte des Landes mit nur 600 Millimeter Regen jährlich, etwa der Hälfte der in der Schweiz normalen Menge. Als sich vor über 20 Jahren in Österreich, der Schweiz und Italien ein grosses Föhrensterben anbahnte, kam man auf die Idee, im Pfynwald zu untersuchen, wie Wald auf Bewässerung reagiert. Auf einer speziell ausgeschiedenen Hektare wurden die Bäume gezielt bewässert und die Reaktionen genau dokumentiert. Daraus lässt sich schliessen, warum oder unter welchen Umständen Bäume sterben oder doch weiter gedeihen. Die Reaktionen waren relativ schnell sichtbar. Die Kronen wurden mit der Bewässerung ausladender, und die Wurzeln wuchsen schneller. Als man dann aber das Verwöhnprogramm abstellte, reagierten die Bäume deutlich empfindlicher, und es ging ihnen weniger gut als jenen, die an Trockenheit gewöhnt waren.

Die meisten dieser Versuche konzen­trierten sich auf die Feuchtigkeit im Boden. Mit steigenden Temperaturen werden aber nicht nur die Böden trockener, sondern auch die Luft. Deshalb gibt’s für einzelne Bäume im Pfynwald nun ein zusätzliches Verwöhnprogramm – mit höherer Luftfeuchtigkeit. Marcus Schaub möchte dazu die Reaktion auf ein verändertes sog. Dampfdruckdefizit messen: Grundsätzlich beträgt die Feuchtigkeit in einer Zelle nahezu 100 Prozent. Die Feuchtigkeit der Luft kann aber 60, 50 oder auch nur 30 Prozent betragen. Je kleiner dieser Unterschied, desto weniger Feuchtigkeit verliert der Baum über die Spaltöffnungen in seinen Nadeln oder Blättern. Ist der Unterschied gross, droht der Baum auszutrocknen. Er verschliesst seine Spaltöffnungen, um den Feuchtig­keitsverlust zu vermindern. Dabei reduziert sich aber auch die Fotosynthese, und der Baum nimmt dadurch weniger Nahrung auf. «Der Baum muss sich entscheiden, ob er verdursten oder verhungern will», sagt Marcus Schaub. Mit einem leichten Sprühnebel in der Luft – in Kombination mit der Bewässerung des Bodens – will er nun untersuchen, wie sich die Bäume in der neuen Situation verhalten.

Ökologie kommt vor Ökonomie

All diese Forschung dient dazu, herauszufinden, welchen Wald wir künftig haben werden und welche Funktionen er überhaupt noch wahrnehmen kann. Die Zeiten der grossen Fichtenkulturen für möglichst grossen wirtschaftlichen Gewinn sind vorbei. Multifunktionale Nutzungsmodelle, insbesondere Waldstrukturen, die allen Ansprüchen von Wirtschaft und Gesellschaft an den Wald gerecht werden, lösen sie ab. Der Wald liefert Bau- und Brennholz, ist Lebensraum für Flora und Fauna, dient der Erholung und ist Biodiversitätsregion. In den Alpen kommt der Funktion als Schutzwald ganz besondere Bedeutung zu.

In seiner modernsten Aufgabe als CO2-Senke soll der Wald so viel Treibhausgas wie möglich aus der Atmosphäre speichern. Dafür sollen die geschlagenen Bäume idealerweise für Bauwerke genutzt werden, die sehr lange stehen bleiben. Damit verändert der Klimawandel den Wald, aber auch die Ansprüche und die Aufgaben des Waldes.

 

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