Wie können wir die Energiewende sozialverträglich beschleunigen? Empa-Forschende schlagen eine solare Grundversorgung aus öffentlicher Hand vor. Sie steigert die Energieautonomie, schafft soziale Gerechtigkeit und fördert weitere Investitionen in erneuerbare Energien.
Dafür nötig sind – unter anderem – ein Drittel aller Dächer in der Schweiz und alle 30 Jahre eine Gesamtinvestition, die pro Schweizerin und Schweizer in etwa dem durchschnittlichen Bruttomonatslohn entspricht.
Die Idee der solaren Grundversorgung im Überblick. Die Investitionskosten würden sich durch den Verzicht auf fossile Brennstoffe rasch auszahlen und könnten beispielsweise durch eine Emissionssteuer gedeckt werden. Grafik: Empa
Die Empa-Forschenden Harald Desing, Hauke Schlesier und Marcel Gauch aus der Abteilung «Technologie und Gesellschaft» haben einen Vorschlag erarbeitet, wie die Energiewende rasch, nachhaltig und sozialverträglich gemeistert werden könnte – sei es auf der ganzen Welt, in der Schweiz oder auch nur in einer einzelnen Gemeinde. Die Studie dazu wurde in der Fachzeitschrift «Progress in Energy» veröffentlicht.
Ihr Modell nennen die Forschenden die «solare Grundversorgung». Demnach soll jeder Mensch ein persönliches Solarstrom-Budget von 500 Watt (entspricht 4400 Kilowattstunden pro Jahr) erhalten – finanziert von der Allgemeinheit. «Viele essenzielle Dienste werden bereits als Grundversorgung zur Verfügung gestellt, etwa Strassen, Bildung sowie Wasserversorgung und Kanalisation. Warum nicht also auch die Grundlage für die Energiewende?», erklärt Harald Desing, der Erstautor der Studie.
Das Konzept kommt ohne Stromspeicher aus, was eine wichtige Funktion erfüllt: Strom soll nur dann verbraucht werden, wenn er kostenlos zur Verfügung steht. Die Gesellschaft soll sich nach der Sonne richten. Das spart auch Geld, denn Speicher würden die Energiewende verteuern, so die Forschenden der Empa.
Finanzierbare solare Grundversorgung
Da 500 Watt etwas mehr sind als zur Deckung der Grund-Energiebedürfnisse notwendig, können Bürgerinnen und Bürger ihre ungenutzte Energie verkaufen. Denkbar wäre etwa, die Energieäquivalente als Zahlungsmittel für Elektromobilität oder den öffentlichen Verkehr zu verwenden. Menschen, die wenig Energie verbrauchen, profitieren davon am meisten – ein wichtiger sozialer Ausgleichsfaktor, so die Forschenden.
Was es konkret bedeuten würde, die solare Grundversorgung zur Realität zu machen, haben die Forschenden für die Schweiz durchgerechnet. 500 Watt Solarstrom entsprechen etwa 21 Quadratmeter Solarfläche pro Person. «Das wäre in der Schweiz etwa jedes dritte Dach», sagt Desing. Auch Parkplätze, Lärmschutzwände und ungenutzte Flächen entlang von Autobahnen und Bahnlinien kämen dafür in Frage – wichtig sei, dass vor allem die bereits bebaute Fläche zur Installation der Solarpanels verwendet wird und kein neuer Boden dafür umgenutzt werden muss, betont Desing.
Auch aus diesem Grund basiert die Grundversorgung auf Sonnenenergie: Photovoltaik lässt sich schnell, einfach und dezentral installieren, sie fügt sich gut ins Stadtbild ein, ist wartungsarm und verursacht weder Lärm noch Sichtbeeinträchtigung. Sie ist gemäss den Berechnungen der Forschenden auch finanzierbar. Der Aufwand entspreche den jährlichen Investitionen in die Strassen. Dafür könnten die Ausgaben für fossile Energieträger auf Null gesenkt werden. Die Kosten für die regelmässige Erneuerung der «Solarversorgung Schweiz» würden sich auf rund 6600 Franken pro Person alle 30 Jahre belaufen.
Klimawandel stoppen
Das in der Studie beschriebene Modell sei ein erster Vorschlag und in vielen Punkten flexibel, sagt Harald Desing. Seine genaue Umsetzung müsse im öffentlichen Diskurs geklärt werden. Der grosse Vorteil der solaren Grundversorgung liegt darin, dass die Gemeinde, der Kanton oder das Land, das sie umsetzt, unmittelbar und direkt davon profitieren. Damit das Modell seine beabsichtigte Wirkung entfalten kann, müssen aber einige Punkte besonders beachtet werden. «Die kostenlose Energie soll nicht dazu verführen, sie zu verschwenden», ermahnt Desing. «Ausserdem muss der Aufbau der solaren Grundversorgung ganz klar mit dem Verzicht auf fossile Brennstoffe einhergehen.» Auch auf die soziale Fairness müsse ein besonderes Augenmerk gelegt werden.
Der Forscher ist überzeugt, dass die solare Grundversorgung Investitionen in andere erneuerbare Energien wie Wind und Wasser attraktiver machen würde. Und Stromüberschuss könnte dereinst dazu dienen, der Atmosphäre historische CO₂-Emissionen zu entziehen und zu Kohlenstoff-bindenden Materialien zu verarbeiten.» Auch das ist aktuell Forschungsgegenstand an der Empa im Rahmen der Forschungsinitiative «Mining the Atmosphere».