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Wirtschaft

Eine Vorzeige­branche, gegründet von Verfolgten

Glanz und Krise der Schweizer Uhren­industrie. In La Chaux-de-Fonds richtet sich die Architektur der ganzen Stadt nach den Bedürfnissen der Uhr­macher. Die Häuser­zeilen sind nach Süden aus­gerichtet und die Abstände sind so gross, dass die Sonne auch im Winter die unteren Stockwerke erreicht.

Wie so vieles in der Schweiz ver­danken wir die Uhren­industrie Ein­wan­de­rern und Menschen, die in andern Ländern ver­folgt wurden. Es waren die aus Frankreich geflohenen pro­tes­tantischen Hugenotten, die oft schon in ihrer alten Heimat Uhren gemacht hatten und sich erst in Genf und dann auf den Hügel­zügen des Juras nieder­liessen. In Le Locle und La Chaux-de-Fonds gab es ab Mitte des 18. Jahr­hunderts aber auch eine jüdische Gemeinde mit engen Bezie­hungen zum ans Basler Gemeinde­gebiet grenzenden elsässischen Hégenheim, woher auch ihr Rabbiner kam. Die Hugenotten und die Juden verstanden sich offen­sichtlich gut, zumal sich die christlich-protestan­tischen Teile der Bevölkerung immer wieder gegen behördliche antisemitische Schikanen des damals preussischen Fürstentums Neuenburg wehrten. Einen Ausweisungs­befehl gegen die Juden ignorierten sie schlicht. Die protestantischen Uhr­macher pro­fi­tierten zudem von den jüdischen Händlern, welche im «Vertriebskanal» ihrer seidenen Tücher gleich auch die Uhren ihrer Nach­barn ver­kauften. Noch heute gibt es in La Chaux-de-Fonds eine Synagoge, und auf halbem Weg zwischen Le Locle und La Chaux-de-Fonds liegen der jüdische und der protestantische Fried­hof un­mittel­bar neben­einander.

Uhrenarchitektur in La Chaux-de-Fonds

Die Uhren­industrie ist im Jurabogen all­gegen­wärtig – vor allem auch in der Architektur. Fast in jedem Dorf gibt es offen­sichtlich sehr viele Schul­häuser, die in Tat und Wahr­heit aber Uhren­fabriken mit ihren charakter­istischen hohen Fenstern sind oder waren. In La Chaux-de-Fonds richtet sich Architektur der ganzen Stadt nach der Uhr­macherei. Die Häuser sind zeilen­weise nach Süden aus­ge­richtet, und die Abstände sind so gross, dass die Sonne auch am kürzesten Tag des Jahres die unterste Etage erreicht, wo in der Regel das Uhr­macher­atelier unter­gebracht war. Vor dem Ersten Welt­krieg hatte allein La Chaux-de-Fonds mit seiner Produktion zeitweise einen Welt­markt­anteil von rund 60 Prozent, wobei ein grosser Teil der Uhren sehr billige, sogenannte «Rosskopf»-Uhren waren. Das wurde der Branche ab den 1950er-Jahren mit dem Auf­kommen der Quarz­uhr und billiger Elektronik zum Verhängnis. Zwar wurde die Quarzuhr in der Schweiz ent­wi­ckelt und erst wegen ihrer extrem hohen Gang­genauigkeit als Luxus­produkt preislich noch deutlich über den teuren mechanischen Uhren angesiedelt.

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Die Synagoge von La Chaux-de-Fonds, gebaut von einer jüdischen Gemeinde, die hier erst Schutz fand und dann dank den Uhren gemeinsam mit ihren protestantischen Nachbarn zu Wohlstand kam.

Leuchtendes Gift

Doch die Quarz­werke waren viel billiger herzustellen als me­cha­nische Uhr­werke, und der Massen­markt brach in den 1970er-Jahren für die Schweizer Her­steller komplett weg. Ende der 1960er-Jahre hatte die Branche auf ihrem Höhe­punkt rund 90 000 Mit­arbeiter in 1500 Firmen. Dazu kamen nochmals viele Tausend Zulieferer, die vielfach in Heim­arbeit Kom­ponenten fertigten. Berüchtigt sind jene Kleinst­betriebe, die oft in Privat­wohnungen Ziffer­blätter mit leuch­ten­der Radiumfarbe bemalten und damit ganze Liegen­schaften radioaktiv verseuchten. 15 Jahre später, Mitte der 1980er-Jahre, war die Zahl der Be­schäf­tig­ten auf 30 000 gesunken, die Zahl der Firmen auf 500 bis 600. Ganze Dörfer verloren ihre industriellen Arbeit­geber, und die Narben der Krise sind noch immer in vielen Gemeinden sichtbar, mit vielen grossen, leeren Gebäuden.

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An der Uhren­messe «Basel World» in Basel trifft sich die Branche jedes Jahr.

Doppelt so viele Fälschungen wie Originale

Erst mit dem Boom der mechanischen Luxus­uhren kamen die Jobs zurück. Mittler­weile be­schäftigt die Branche direkt wieder etwa 58 000 Angestellte. Gemessen an den Stück­zahlen, hat die Schweizer Uhren­industrie aber nur noch einen Welt­markt­anteil von 2,5 Prozent. Gemessen am Wert hat sie aber einen Anteil von 50 Prozent, und 95 Prozent aller Uhren mit einem Wert von mehr als 1000 Franken kommen aus der Schweiz. Der Anteil der gefälschten Schweizer Uhren ist mit 5 Prozent an der Menge doppelt so hoch wie die Stück­zahl der Originale. Wert­mässig machen die Fälschungen immerhin einen Umsatz von rund einer Milliarde Franken aus – während im Jahr 2018 Originale im Wert von über 21 Milliarden Franken exportiert wurden.

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