Die Klimakrise und der IQ-Bypass
Wer geistig in der Champions League spielt, perfektioniert die hohe Kunst der Verdrängung: Klimaskepsis mit Argumenten schminken, bis sie salonfähig glänzt.
Wer geistig in der Champions League spielt, perfektioniert die hohe Kunst der Verdrängung: Klimaskepsis mit Argumenten schminken, bis sie salonfähig glänzt.
Man sollte ja meinen, wer einen Studienabschluss in der Tasche hat und Begriffe wie «Kyoto-Protokoll» oder «CO₂-Äquivalente» (CO₂e) fehlerfrei aussprechen kann, würde beim Thema Klimakrise automatisch in den Alarmmodus schalten.
Schliesslich sind die Fakten bereits für jeden Grundschüler abrufbar: heiss, ernst, unumstösslich. Aber nein – ausgerechnet die Schlauen, Gebildeten, sogar die mit dem Dauer-«National Geographic»-Abo, schalten bei der Klimadebatte gern auf Durchzug. Schulterzucken deluxe. Als ginge es um den Feinstaubgehalt auf dem Mars.
Warum? Weil Intelligenz und Verantwortungsgefühl offenbar in getrennten Gehirnregionen wohnen – und die sprechen kaum noch miteinander. Wer einmal wirklich begriffen hat, was da auf uns zurollt, kriegt nicht selten einen intellektuellen Schwächeanfall – und schiebt das Thema dann lieber in den mentalen Giftschrank. Hochbegabte können das besonders gut: komplex analysieren, tief reflektieren und am Ende so clever relativieren, dass einem selbst die Apokalypse wie ein mittelgrosses Ärgernis vorkommt. Rational ist das nicht – effektiv aber schon.
Klar, das Klima-Thema macht Angst, schlechte Laune und passt nicht in die Präsentation bei der nächsten Strategietagung. Und was macht der überforderte Geist? Genau: Er klappt den Laptop zu, geht per Smartphone auf LinkedIn und liked ein Impulsreferat über «resilientes Mindset in disruptiven Zeiten». Problem erkannt, Problem verdrängt.
Denn es ist natürlich viel angenehmer zu glauben, dass der eigene SUV nichts mit dem Schmelzen der Pole zu tun hat, als dass man womöglich selbst der Endgegner ist. Und dann diese Ohnmacht! Der globale CO₂-Ausstoss hängt nicht an deiner AliExpress-Kreditkartenabrechnung, sondern an einer Mischung aus Weltpolitik, Wirtschaftslobby und moralischer Windstille. Wer sich da reindenkt, kommt schnell zum Schluss: Ich kann eh nix machen. Also warum das Kaffee-Abo des Planetenschänders Nestlé kündigen? Was bringt’s? Willkommen im Club der hochgebildeten Klimazyniker.
Aber halt – da ist noch mehr. In den feinen Zirkeln, wo man nicht Wasser predigt, sondern raren Spitzenwein aus Australien trinkt und mit Kerosin fliegt, gilt Klimaschutz oft als Modeerscheinung mit Sandalengeruch. Da wird lieber gelächelt, genickt und heimlich das nächste Verbrenner-Modell konfiguriert. Dort, wo der CO₂-Fussabdruck eher ein modisches Accessoire als eine ethische Frage ist, bleibt man lieber anschlussfähig. Und klar: Wer sich sein Leben lang was aufgebaut hat – Karriere, Komfortzone, Kühlschrank mit WLAN – will das nicht wegen ein paar schmelzender Gletscher hinterfragen. Ist ja auch unbequem, so eine CO₂-Bilanz.
Dazu kommt: Die Klimakrise ist ein echter Stimmungskiller. Kein Feindbild, kein Endgegner, kein Action Movie. Kein lauter Knall – eher ein leises, permanentes Summen im Schädel. Überall und nirgends, langsam und schleichend. Das Unterbewusstsein sagt: «Gefahr.» Die Grütze im Hirn sagt: «Hmm, … später vielleicht.»
Am Ende bleibt die bittere Erkenntnis: Die Klimakrise ist kein Problem mangelnden Wissens, sondern mangelnden Rückgrats. Kein Rätsel mehr, sondern ein Spiegel. Was es braucht, ist nicht mehr IQ, sondern mehr Mut. Die Bereitschaft, unbequeme Wahrheiten zu verinnerlichen und trotzdem Verantwortung zu übernehmen. Nicht für den Applaus von heute, sondern für die Welt von morgen.
Andreas Turner ist Kommunikationsspezialist und Inhaber der 2025 gegründeten Zero2050 GmbH. Unter der Marke ENERGY BY TURNER konzipiert, textet und produziert er Print- und Online-Formate, namentlich im Einsatz für die Energiewende sowie im Mobilitäts- und Cleantech-Bereich. Mit dieser Kolumne reitet er sein Steckenpferd, die diskrete Satire.