Das kleinste Molekül soll endlich Grosses vollbringen – auch wenn es bisher eher enttäuscht hat. «In 20 Jahren funktioniert alles mit Wasserstoff. Und das wird auch in 20 Jahren noch so sein», lautet der Witz, der schon seit den 1970er-Jahren kursiert.
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Damals ging es noch darum, die wohl bis ins Jahr 2000 erschöpften Öl- und Gasquellen zu ersetzen, mit Atomstrom. Wasserstoff, «Hydrogen», hätte die «Hydrocarbons», die fossilen Energien, ersetzen sollen, jene Weltmaschine aus Öl, Gas und Kohle, die alles antreibt, von Kraftwerken über Heizungen bis zu den Autos. Wasserstoffautos gab es schon, der Flugzeugbauer Tupolew hatte einen Passagierjet auf den Betrieb mit Wasserstoff und Erdgas umgerüstet. Später sagte Chefkonstrukteur Wladimir Andreev über sein Projekt: «Genetische Versuche macht man mit Fliegen. Wir versuchten es mit Elefanten. Darum sind wir gescheitert.» 2020 hat Airbus erneut fliegende Wasserstoff-Elefanten angekündigt.
Brennstoffzelle aus Basel
Auch die Brennstoffzelle ist nicht neu. Sie wurde von Friedrich Schönbein an der Universität Basel im Jahr 1838 erfunden, nur 13 Jahre nach der ersten kommerziellen Fahrt einer Dampflokomotive. Seither ist sie Zukunftstechnologie.
Die Wasserstoffbegeisterung kam in Wellen und hinterliess Zynismus. Seit es mit der Batterietechnologie vorwärtsgeht, haben sich einige Autokonzerne einmal mehr vom Wasserstoff verabschiedet. «Für Autos ist der Zug wahrscheinlich abgefahren», sagt Diego Jaggi, Chef und Gründer der Firma Esoro in Fällanden bei Zürich. Seine Firma macht Vorentwicklungen für führende Autokonzerne und hat vor drei Jahren einen Brennstoffzellen-Lastwagen auf die Strasse gebracht. «Die Technologie ist komplex, und es gibt für Autos noch immer viel zu wenige Tankstellen», sagt er. Bei Lastwagen sei das anders. Sie fahren definierte Routen, sind jeden Tag bis zu 16 Stunden unterwegs und brauchen einen schnellen Tankvorgang. Autos stehen täglich mehr als 23 Stunden und können am Kabel hängen. Beim LKW ist das tiefere Gewicht entscheidend. Schwere Batterien fressen viel Nutzlast weg. Hyundai lanciert nun in der Schweiz Autos und Lastwagen mit Brennstoffzellenantrieb. Die Koreaner verkaufen bisher noch keine schweren Nutzfahrzeuge in Europa. So kannibalisieren sie mit Wasserstoff-LKWs keine bestehenden Märkte.
Die verlorenen Jahrzehnte, die grossspurig angekündigten und kleinlaut beendeten Projekte, sie alle geben den Zynikern recht. Darunter sind auch viele Fachleute, die einmal daran geglaubt haben. Die Wasserstoffdiskussion drehte sich immer darum, welche Fahrzeuge, Flugzeuge, Heizungen oder Schiffe mit H2 angetrieben werden könnten, wie die Technologie aussehen müsste und warum sie scheiterte. Und ganz im Versteckten klingen wohl noch immer jene Ängste mit, welche die Bilder des brennenden Luftschiffs «Hindenburg» ins öffentliche Gedächtnis eingebrannt haben, obwohl damals, 1937 in Lakehurst, nicht der Wasserstoff, sondern der Lack der Baumwollhülle der Brandbeschleuniger war.
In der ganzen Kakofonie Tausender Einzelinteressen, Einzelprojekte und Einzelbedenken verfolgt Christian Bach, Leiter der Abteilung Fahrzeugantriebssysteme an der Empa in Dübendorf, mit dem interdisziplinären Projekt «move» einen völlig anderen Ansatz. Er schaut sich nicht nur die Vor- und Nachteile einzelner Technologien an, sondern rollt das Problem von hinten her auf und fängt beim Energiesystem an.
Das grosse Energie-Puzzle
Im Motorenlabor unter seinem Büro findet sich alles, was in der Vergangenheit die Zukunft bedeutet hat. Hier werden Motoren weiterentwickelt, Wärmeströme in Batterien simuliert und Wasserstoffautos vermessen. Hier steht eine zehnjährige, mit Wasserstoff betriebene Strassenkehrmaschine, die nun als rein batterieelektrische Version vermarktet wird. Und hier gibt es auch Teststände für Lastwagen-Dieselmotoren. «Unter den Herstellern herrscht ein Wettlauf, wer zuerst 50 Prozent Wirkungsgrad erreicht», sagt Christian Bach. Das wäre gleich gut wie ein Brennstoffzellenantrieb. «Wichtig ist, dass Effekte gefördert werden, wie etwa niedrigste CO2-Emissionen, und nicht einzelne Technologien», betont er. Wenn es auf Basis des Dieselmotors geht, ist das auch gut.
Weder die neuen Dieselmotoren noch die alten Brennstoffzellen sind «Welt von gestern». Sie sind Puzzleteile im Projekt «move». Ohne fossile Energieträger muss die Energiewelt überwiegend elektrisch sein. Ohne Kernkraft fehlen in der Schweiz aber jährlich 25 Terawattstunden (TWh) Strom. Das lässt sich mengenmässig mit Solarstrom kompensieren – aber nicht als Bandleistung. Solarstrom fällt vor allem im Sommer und tagsüber an. Es braucht neue Speichersysteme, um die Energie in die Nacht, den Nebel und in den Winter zu retten. Zudem fehlt es an Netzkapazitäten, wenn neben den heutigen Stromverbrauchern auch Verkehr, Heizung und Industrieproduktion erneuerbar-strombasiert werden sollen.
«Energiewelt» im Modell
Mit dem Projekt «move» sucht die Empa die Quadratur des Kreises: Das neue Energiesystem muss vollständig erneuerbar sein, kaum neue Infrastruktur benötigen, kein CO2 ausstossen und Klimagase aus der Atmosphäre entfernen. Es muss sich in aktuelle Handelsströme integrieren und die bestehende Infrastruktur nutzen. Das alles haben Christian Bach und sein Team in eine grosse Rechnung eingebaut. Das Resultat: Die Schweiz wird auf Importe angewiesen sein, insbesondere im Winter. Aber ohne erneuerbare Energieversorgung im Winter ist die CO2-Reduktion nicht möglich. Doch Wasserstoff kann es möglich machen.
Denn erneuerbare Energie gibt es auf der Welt mehr als genug. Wasserstoff kann aus temporär überschüssigem Strom hergestellt werden. Bei grossen Wind- und Solarfarmen lässt er sich in gasförmige und flüssige Treibstoffe umwandeln, sogenannte E-Fuels. Sie treiben konventionelle Strassenfahrzeuge an, aber auch Flugzeuge und Schiffe. Für E-Fuels gibt es mit Tankern und Pipelines bereits eine weitverzweigte Transport- und Lagerinfrastruktur. E-Gas kann in beliebigen Konzentrationen ins Gasnetz eingespeist werden und das fossile Gas verdrängen. Regio Energie Solothurn hat in ihrem Hybridwerk im Rahmen des europäischen Projekts Store&Go die biologische Methanisierung erfolgreich getestet. Die Empa arbeitet an einem weiterentwickelten katalytischen Konzept. Mit einem weiteren Verfahren, der sogenannten Pyrolyse, kann E-Gas in Wasserstoff und Kohlenstoff aufgespalten werden, und zwar so, dass der Kohlenstoff nicht in Form von gasförmigem CO2 anfällt, sondern als festes schwarzes Pulver, ungiftig, leicht lager- und transportierbar. Davon gäbe es riesige Mengen, die mit Beton und Asphalt vermischt werden könnten. Diese Wasserstoffwelt könnte aus der Atmosphäre mehr CO2 entfernen, als sie ausstösst. Negative Emissionen im grossen Stil sind nötig, um das Netto-null-CO2-Ziel zu erreichen. Denn unvermeidliche CO2-Emissionen, wie etwa jene aus der Landwirtschaft, werden bleiben.
«In Powerpoint-Präsentationen kann man das alles sehr schön und einfach darstellen»
Christian Bach
«In Powerpoint-Präsentationen kann man das alles sehr schön und einfach darstellen», sagt Christian Bach. «In der Realität ist es aber viel komplexer. Deshalb wollten wir das mit einem real funktionierenden Modellbetrieb machen, der belastbare Zahlen liefert.» Das Modell dieser postfossilen Energiewelt ist in der «move»-Halle der Empa seit rund fünf Jahren am Entstehen: drei Stockwerke hoch, mit Batteriespeichern, einer Schnellladesäule, einem Elektrolyseur, Rohren, Wasserstofftanks und Kompressoren, einer Wasserstoff- und Gastankstelle und auch bald mit einer Methanisierungsanlage.
Der Teufel und die Details
Kaum wird’s praktisch, kommt der Teufel mit seinen Details. Viele Vorschriften für Energieanlagen sind veraltet und für neue Technologien schlecht anwendbar. Parallel zum Aufbau der neuen Energietechnologien müssen deshalb auch die Regulierungen angepasst werden.
Und dann sind da noch immer die ewigen Kritiker, die sagen, ein Wasserstoffauto brauche mehr als doppelt so viel Strom wie ein Elektroauto, die Umwandlung von Strom in Gas sei ineffizient. Das ist laut den Empa-Spezialisten nicht wirklich falsch, aber auch nicht ganz korrekt. «Entscheidend ist nicht die Teilsystem-effizienz», sagt Christian Bach, «sondern die Effizienz des Gesamtsystems. Wenn ineffiziente Teilsysteme die Gesamtsystemeffizienz erhöhen, wie dies mit Wasserstoff möglich ist, muss man diese Technologie einsetzen.» Sonnenenergie ist weltweit im Überfluss vorhanden. «Um den nicht durch die Wasserkraft gedeckten Bedarf der Schweiz im Winter sowie den Langstreckenverkehr ausschliesslich mit synthetischen Energieträgern zu decken, wäre eine Photovoltaikfläche in einer Wüste von zirka 700 Quadratkilometern erforderlich», rechnet Christian Bach vor. «Das ist ein Quadrat von 26 mal 26 Kilometer.» Der Anteil der Schweiz an den internationalen Emissionen ist verschwindend klein. Aber die Schweiz ist ein reiches Land mit besten wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Voraussetzungen. Wer sonst sollte denn solche Systeme entwickeln, die letztendlich alle brauchen?
Klimajugend an die Macht
Im Gegenwind der ewigen Bedenkenträger setzt Christian Bach seine Hoffnung auch in die Klimajugend. «Ich bin beeindruckt von der Ernsthaftigkeit und der Sachkenntnis vieler dieser Jugendlichen. Schon in wenigen Jahren übernehmen diese Leute führende Rollen in Politik und Wirtschaft. Das wird die Transformation beschleunigen», sagt er. Aber die Arbeit muss jetzt beginnen. Weitere 20-Jahre-Chancen für die «Weltmaschine Wasserstoff» wird es nicht mehr geben. Irgendwann ist es fürs Klima zu spät.
Das Projekt «move» der Empa
Im Projekt «move» zeigt die Empa in Zusammenarbeit mit Partnern aus Forschung, Wirtschaft und öffentlicher Hand, wie die Mobilität der Zukunft ohne fossile Energie funktionieren könnte. Das Fernziel ist dabei das Schliessen des Kohlenstoffkreislaufs: Das emittierte CO2 wird dabei wieder «eingesammelt» und in Energieträger zurückverwandelt. Als Demonstrator für die Mobilität der Zukunft zeigt «move» exemplarisch den gesamten Pfad auf, wie sich erneuerbare Elektrizität, die nicht direkt verbraucht werden kann, für die Mobilität nutzen lässt – in Form von Wasserstoff und in späteren Ausbaustufen in Form von synthetischem Methan und in Netzbatterien. Die Fahrzeuge, die im Rahmen von «move»-Projekten in der Praxis eingesetzt werden, sind mit den neuesten Antriebskonzepten und -technologien ausgestattet. Nebst der Optimierung der Technologien für Energieumwandlung und Speicherung soll «move» auch aufzeigen, welcher Antrieb sich für welchen «Mobilitätstypus» am besten eignet.
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