Zum Hauptinhalt springen
Ester Abate, CC BY-SA 3.0, commons.wikimedia.org / iStock / zVg Corippo Albergo Diffuso
Ökologie

Corippo hat sich als Dorf neu erfunden

Das Tal ist steil. Entweder geht es steil hinauf oder steil hinunter.

Das Tal ist steil. Entweder geht es steil hinauf oder steil hinunter. Ganz unten bildet die Verzasca auf glatt geschliffenen Felsen jene natürlichen Pool-Landschaften, die im Sommer zum Baden einladen.

Ein Dorf wehrt sich

Corippo ist ein Dorf abseits der Haupt­strasse, noch etwas mehr abseits als alle anderen Dörfer hier. Die Abwanderung ist seit jeher ein Problem in den engen Tälern des Tessins. Die Landschaft gab schon immer viel zu wenig her zum Leben und kaum genug zum Sterben. Hier hat der Mann mit der Narbe, der Menschenhändler aus dem Jugendroman «Die Schwarzen Brüder», seine Kaminfegerbuben zusammengekauft, um sie nach Mailand weiterzuverschachern. Kastanienwälder schlucken langsam die einst mühsam den Steilhängen abgerungenen Terrassen, die Häuschen zerfallen, die Leute werden alt – auch jene, die in den 1970er- und 1980er-Jahren als Aussteiger die verlassenen Dörfchen wiederbeleben wollten. Alte Männer in einstmals bunten Kleidern, an Krücken humpelnd, mit langen Zöpfen und runden, gehäkelten Mützen.

Von der Postautohaltestelle führt ein zwanzigminütiger Fussmarsch zum Dorf. Die Probleme sind alt. Schon seit 1975 versucht eine Stiftung, den langsamen Tod des Dorfs abzuwenden. Doch alle Ideen wie ein Reka-Dorf oder die Ansiedlung junger Familien mit Kindern schlugen fehl. Zu unattraktiv, zu teuer, zu viel Beton. Alles wäre kurzfristig gewesen und hätte das Grundproblem nicht gelöst: dass sich die kleinen Häuschen bestenfalls als Feriendomizil eignen, aber nicht als moderne Wohnungen. Doch hätte man das «Zuwenig zum Leben» zurechtbetoniert, wären unweigerlich der Charme und die Seele des Dorfs zerstört worden.

Lösung aus Norditalien

Die rettende Idee kam der Stiftung mit dem Albergo Diffuso, dem verteilten Hotel. Damit wurde schon anderen vom stillen Tod bedrohten Dörfern neues Leben eingehaucht, vor allem in der norditalienischen Region Friaul. Die ehemalige Dorfbeiz wird zum Restaurant und zur Réception, und das eigentliche Hotel ist über das ganze Dorf verteilt. «Jedes Zimmer hat einen direkten Eingang. Die Gänge des Hotels sind die Gässchen des Dorfs», sagt Jeremy Gehring. Er ist Koch und Gastronom und leitet mit seiner Partnerin Désirée Voitle das Hotel. Zusammen mit ihrem Söhnchen Ernesto haben sie die Einwohnerzahl des Dorfs von sieben auf zehn hochkatapultiert. Dazu kommen die zehn Zimmer mit 22 Betten, die im letzten Sommer häufig ausgebucht waren. Die Zimmer sind spartanisch, haben aber doch ein sehr gutes Bett, eine minimale Möblierung und einen Balkon. «Wir haben keine Kategorisierung, aber das Niveau liegt ungefähr beim Drei-Sterne-Superior», sagt Gehring.

Das Hotel hat also keine Sterne, dafür sieht man die echten nachts von Corippo aus umso besser. Solche Dörfer kommen am besten zur Geltung, wenn es still und dunkel ist. Weil es keine Beleuchtung gibt, scheinen die Sterne besonders hell. Und auch die Strasse, wo Auto- und Motorradtouristen durch die engen Kurven brettern, ist nicht zu hören, weil sich das Dorf etwas vom Haupttal wegdreht.

con-corripo-2-1.jpeg

Die Verzasca mit ihren vielen Felsbecken ladet zum Baden, und danach gibt’s hervorragende lokale Küche in Corippo.

Dafür gibt es anderes. Die engen Gässchen schreien förmlich nach Kindern und Versteckenspielen. Jeder ebene Punkt ist dem Berg abgerungen, mit unendlich vielen Steinen in Mauern, Terrassen, Wegen und Steindächern. Es ist eine Welt, die praktisch nur aus Steinen besteht, jeder Dutzende Male in die Hand genommen, bis er schliesslich am richtigen Ort war. Einige tragen dichte Flechtenteppiche, andere sind blank gewetzt von den Menschen, die seit ewig darüberlaufen. Aber auch Steine und Steinhäuschen leben, leiden und brauchen Pflege. Da sind die schön renovierten Steindächer einiger Ferienhäuser und des Albergos, aber auch das, was man im Tessin ein «Tec ai piüm» nennt, ein Federdach: wie ein zerzauster Spatz und doch aus Stein, geflickt mit rostigen Blechen, die überall zwischen die Steinplatten geschoben werden, wo es nicht mehr dicht ist.

«Das Hotel hat keine Sterne, dafür sieht man die echten nachts von Corippo aus umso besser.»

Ganzjährig spektakulär

Noch zwei weitere solche Häuser könnte das Albergo Diffuso in nächster Zeit zu Zimmern ausbauen – und es gäbe vielleicht auch noch mehr Kandidaten. Zudem denkt Jeremy Gehring daran, auch einige der Ferienhäuser unter Verwaltung zu nehmen und die Vermietung zu organisieren, wenn die Eigentümer nicht da sind. Auch das würde dem Dorf zusätzliches Leben bringen, denn das Albergo Diffuso ist ganzjährig geöffnet. Jeremy Gehring und Désirée Voitle betonen, dass das Restaurant nicht nur Teil des Hotels sein soll, sondern dass sie sich auch möglichst viele Tessinerinnen und Tessiner als Gäste wünschen. Denn das Verzascatal ist ganzjährig spektakulär – für alle.

con-corripo-1.jpeg

Jeremy Gehring, Désirée Voitle und ihr Sohn Ernesto sind die Gastgeberfamilie im Albergo Diffuso von Corippo.

Klar, man kann hier in der Verzasca Canyoning machen, mit einem Bungee-Seil an den Füssen von einer Staumauer hüpfen oder von hohen Felsen mit einem doppelten Salto in die dunkelblauen Fels-Pools der Verzasca eintauchen. Aber man muss nicht. Auch im Torrente di Corippo, dem Bächlein hinter dem Dorf, gibt’s Steinbecken, in die man sich einfach hineinlegen und eine halbe Stunde lang regungslos Libellen und Schmetterlinge beobachten kann. Und erst beim Aussteigen wird klar, wie kalt und erfrischend das Wasser ist, während Tuch und Badehose auf den glatt geschliffenen, sonnenwarmen Felsen trocknen.

corippoalbergodiffuso.ch

Damit diese Website korrekt funktioniert und um Ihr Erlebnis zu verbessern, verwenden wir Cookies. Für weitere Informationen lesen Sie bitte unsere Cookie-Richtlinien.

Einstellungen anpassen
  • Erforderliche Cookies ermöglichen grundlegende Funktionen. Die Website kann ohne diese Cookies nicht korrekt funktionieren und kann nur durch Änderung Ihrer Browsereinstellung deaktiviert werden.