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hristian Aeberhard, zVg Stiftung Pro Artenvielfalt, iStock
Ökologie

Neues Leben in alten Türmen

Transformatorentürme sind Relikte aus der Frühzeit der Elektrifizierung. Heute dienen sie in einer immer steriler werdenden Siedlungslandschaft als Rückzugsort für bedrohte Tiere.

In ausgedienten Trafotürmen haben die empfindlichen Jungvögel der Mauersegler ein ideales Dach über dem Kopf.

Sie waren die Symbole des Fortschritts, mit ihnen kam die Elektrizität aufs Land. Die Trafotürme waren der Mittelpunkt eines spinnennetz­artigen Leitungsgewirrs, mit dem im 20. Jahrhundert über hölzerne Leitungs­masten der Strom in die Häuser gebracht wurde. Doch im 21. Jahrhundert werden sie nicht mehr gebraucht. Relikte einer vergangenen Zeit, ohne wirklichen Nutzen, zu eng zum darin Wohnen, zu teuer zum Abreissen, die Grundstücke zu klein, um etwas anderes darauf zu bauen. Meist stehen die Türme mit einem Wert von einem Franken in den Inventar­listen der Netz­betreiber oder werden an die Gemeinden verschenkt, die damit auch nichts anfangen können und sie verlottern lassen. Doch die Stiftung Pro Artenvielfalt in Basel und die gleich­namige Schwester­stiftung in Deutschland wissen etwas damit anzufangen. Die vom ehe­maligen Manager Roland Tischbier gegründeten Organisationen kaufen solche Türme und bauen sie zu «Artenschutztürmen» um. In der Schweiz gibt es bisher zwei solche Türme, einen in Frenkendorf und einen in Schwyz. In Deutschland sind es schon mehr als 30. Diese kleinen Refugien in Siedlungsnähe sind bitter nötig, denn in den letzten Jahren sind sogenannte Siedlungs­tiere, welche seit Jahrhunderten in Dach­stöcken und Höhlen an Häusern leben, immer mehr unter Druck geraten.

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Der Artenschutzturm in Frenkendorf bietet begleitetes Wohnen für bedrohte Existenzen wie Mauersegler, Spatzen, Hausrotschwänze oder Fledermäuse. Die Löcher und Aufsätze an der Fassade des Turms sind die Zugänge zu den einzelnen Brut­höhlen, zugeschnitten auf die Bedürf­nisse der entsprechenden Tierarten.

Moderne Häuser vertreiben die Tiere

Denn mit der neuen, energetisch korrekten Bauweise gibt es keine Dach­vorsprünge mehr, keine zugänglichen Dachböden und keine kleinen Nischen, in denen Mauersegler oder Gartenrotschwänze nisten könnten. Auch die «Wappentiere» alter Kirchen und Schlösser, die Fledermäuse, finden kaum mehr geeignete Unter­schlüpfe, um da kopfüber den Tag zu verschlafen. Selbst die Spatzen pfeifen nicht mehr von den Dächern, weil es immer weniger Dächer gibt, in denen sie nisten könnten – und damit auch weniger Spatzen. Parallel zur immer sauberer und damit für Tiere ungastlicher werdenden Architektur kommt das dramatische Verschwinden der Insekten. Gemäss Studien vom letzten Jahr beträgt in gewissen Regionen der Rückgang bis zu 80 Prozent. Autofahrern mag das aufgefallen sein, wenn sie nach langen Fahrten kaum mehr die Scheiben reinigen müssen. Den Schwalben, Mauerseglern, Fledermäusen und selbst den anpassungs­fähigen Spatzen gehen deshalb nicht nur die Nist­plätze aus, sondern auch das Futter. Das knappere Angebot bekommen auch die grösseren Vögel zu spüren, etwa Krähen und Elstern, die dann vermehrt die Nester der kleineren Vögel ausnehmen und deren Jungtiere fressen. Schliesslich geht es auch ihnen ums Überleben und ums Durch­bringen ihrer Jungen, wie Carmen Sedonati, Feldornithologin bei der Stiftung Pro Artenvielfalt, erklärt.

«Trafotürme sind ideal als geschützte und begleitete Wohngemeinschaften für bedrohte Tiere.»

Carmen Sedonati, Feldornithologin

Erst mal sanieren

Trafotürme eignen sich perfekt als begleitete und geschützte Wohn­gemeinschaften für bedrohte Tiere. Doch erst muss meist der Turm gesichert werden. Jenen in Frenkendorf hat die Stiftung für einen Franken der Gemeinde abgekauft und dann für 40 000 Franken baulich saniert: neue Dachkännel, Reparaturen am Dach, die Fassade streichen, Zwischen­böden und illustrierte Infotafeln, die den Passanten erklären, was hier gemacht wird. Finanziert wurde das mit Geldern der Stiftung. Und dann sind natürlich die eigentlichen Brut­installationen wichtig. Es gibt Brut­höhlen und Nist­kästen in ver­schiedenen Grössen, und nun werden auch noch mit Jutesäcken im Dachstuhl möglichst gute Bedingungen geschaffen, damit Fledermäuse dort abhängen können. Sie mögen gute Zugänge, aber keine Zugluft. Viele Nist­möglichkeiten sind von innen zugänglich, damit man alte Nester ausräumen und die Kästen für die nächste Saison bereit machen kann. Brut­kolonien im Frenkendorfer Trafoturm sind allerdings nichts Neues. Schon früher nisteten hier drin Mauersegler oder «Spyren», wie sie in der Region genannt werden. Sie sehen aus wie grosse Schwalben, können sehr schnell und weit fliegen, was sich auch an ihren langen, schlanken Flügeln zeigt, die auf hohe Geschwindig­keiten ausgelegt sind.

Mit dem Tod des Betreuers verschwanden die «Spyren»

Jahrzehntelang hatte ein Vogelfreund, der unmittelbar neben dem Turm wohnte, Nistkästen im Turm eingerichtet und betreut. Doch nach seinem Tod verfielen die Anlagen, und vor allem überwucherte Efeu die Fassade. Weil Mauersegler mit hoher Geschwindigkeit punktgenau in ihre Bruthöhlen hineinfliegen, fanden sie diese hinter dem dichten Efeu nicht mehr. Nach und nach verschwand auch die Vogelkolonie aus dem Turm. Jahre später rief die Witwe bei Jürg Schäfer, dem Präsidenten des Natur- und Vogelschutz­vereins Frenkendorf, an und erzählte, sie habe noch immer einen Schlüssel zum Turm, ob er den nicht wolle. Gleich­zeitig kam der Kontakt zur Stiftung Pro Artenvielfalt zustande. Schon kaum ein Jahr nach seiner Eröffnung im Mai 2018 ist der neue Arten­schutz­turm ein Erfolg. Noch während des Baus waren sich die Initianten nicht sicher, wie schnell sich die verloren­gegangene Mauersegler­kolonie neu bilden würde. Doch schon im ersten Jahr brüteten nebst dem Mauersegler-­Brutpaar drei Vogelpaare, und auch Meisen und Hausrotschwänze zogen ein.

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Niels Friedrich und Carmen Sedonati von der Stiftung Pro Artenvielfalt mit Jürg Schäfer (Mitte), der zusammen mit dem Natur- und Vogel­schutz­verein Frenkendorf den Turm betreut.

«Bird on a Wire»

Zwar ist der Turm mit seiner engen, leiterartigen Treppe nicht gerade gut zugänglich. Doch Jürg Schäfer zeigt gerne, was da drin passiert. Für die Stiftung Pro Artenvielfalt ist Sensi­bilisierung der Öffentlichkeit wichtig. Feldornithologin Carmen Sedonati sagt dazu: «Sehr viele Kinder haben den Kontakt zur Natur verloren. Auch viele Erwachsene wissen nicht, wie viele Tiere in ihrer nächsten Umgebung in den Siedlungen leben.» Doch mit immer glatteren und dichteren Häusern, pflegeleichten Steingärten, weniger Blumen und einer einförmigen, quasi industriellen Land­wirt­schaft werden die Lebens­räume eingeengt. Besonders drastisch zeigt sich das bei den Schmetterlingen, deren Zahl in den letzten 100 Jahren um bis zu 98 Prozent zurück­gegangen ist. Anders gesagt: In einem Moment, in dem wir heute zwei Schmetterlinge sehen, sahen unsere Urgrosseltern hundert Schmetterlinge.

Und dann ist da neben dem ökologischen noch der denkmalpflegerische und kultur­historische Aspekt des Projekts. Die Trafotürme sind Zeitzeugen vom Übergang in die modernere Zeit, als elektrisches Licht und später elektrische Maschinen längere Arbeitstage, besseres Licht und in den Häusern bessere Luft ermöglichten, weil sie die stinkenden und aufwendig zu be­treibenden Petrol­lampen ersetzten. Zudem hatten Vögel und Strom immer schon eine besondere Beziehung. Jahrzehntelang versammelten sich Schwärme von Zugvögeln auf den Strom­leitungen, aufgereiht wie Noten auf den Linien – bis die Leitungen unter den Boden verschwanden. Es gibt unzählige Bilder und Karikaturen von Vögeln auf Strom­leitungen, und Leonard Cohen haben sie zu seinem Song «Bird on a Wire» inspiriert. Auch deshalb ist die ausgediente Strom­infra­struktur eine ideale ökologische Nische.

Lebensräume sichern

Neben den Projekten mit den Artenschutztürmen fördert die Stiftung Pro Artenvielfalt vier Igel­rettungs­stationen sowie die grösste Mauersegler-Rettungsstation der Schweiz. Zudem sucht sie zum Verkauf stehende Streuobstwiesen mit Hoch­stammbäumen. Diese leisten einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt. Die Stiftung kümmert sich aber auch um Feucht­gebiete, die als Rastplätze für Zugvögel entlang der Vogelzug­routen wichtig sind, etwa auf Sizilien. Auf Zypern und Sardinien geht die Stiftung gemeinsam mit den Behörden gegen Wilderer vor. Dort gelten Zug- und Singvögel als Delikatessen und werden mit riesigen Fang­netzen, Fallen und Leimruten in industriellem Ausmass illegal gefangen.

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