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Symbolbild
©Jannes Glas /unsplash
E-Auto

Stromer im Überholmodus

Sie entwickelt sich, die Elektromobilität. Immer mehr Argumente für Verbrenner entfallen. Eine Auslegeordnung und Entscheidungshilfe für den E-Auto-Kauf.

Dieser Text ist in leicht gekürzter Form auch im Printmagazin von energie inside erschienen. 

Die erste Fahrt im E-Auto vergisst man nicht. «Soll ich mal?», fragte mich vor ein paar Jahren der stolze Neuteslianer auf der Autobahn. Ohne meine Antwort abzuwarten, drückte er das Pedal durch und zog am Porsche vorbei. Von 100 auf 180 in einer gefühlten Millisekunde signalisierten mein Gleichgewichtsorgan im Innenohr und das flaue Gefühl in der Magengegend. Und das triumphierende Lachen des Fahrers markierte eine neue Zeitrechnung der Mobilität. Stromer ziehen Verbrenner aus dem Verkehr.

Noch halten sich die Benziner und Diesler im Markt, doch immer mehr Stromer werden neu zugelassen (siehe Kasten). Die Elektrifizierung der Mobilität läuft. Es ist die zweite Welle. Die erste hatte sich schon Ende des 19. Jahrhunderts aufgebaut, wurde jedoch nach wenigen Jahren gebrochen. Heute halten immer noch viele Autofahrende hartnäckig an ihrem «Feuer» unter der Motorhaube fest, am Verbrennen von Benzin. Rüsten Sie sich für Diskussionen. Lesen Sie hier die wichtigsten Gegenargumente.

«Mein Auto ist umweltfreundlicher als ein Stromer.»

Das ist längst widerlegt, zuletzt vom renommierten Fraunhofer-Institut, das in einer Vergleichsstudie festhält: Über den gesamten Lebenszyklus bis zur Entsorgung sparen Mittelklasse-E-Autos mit dem im Vergleich zur Schweiz umweltschädlicheren deutschen Strommix 40 bis 50 Prozent CO₂ ein. Die anfänglich um mehr als die Hälfte höheren Produktionsemissionen werden während der Nutzung mehr als ausgeglichen. Wird ein Stromer mit grosser Batterie nur selten gefahren, ist er aber kaum umweltfreundlicher als ein Verbrenner. Je erneuerbarer der Strommix ist, desto eher sind E-Autos im Vorteil.

«Autos mit Batterien haben keine Zukunft. Wasserstoff schon.»

Der Autohersteller Stellantis, der viele Topmarken unter seinem Dach hat, sieht das anders. Er hat gerade seine Wasserstoff-Transporter-Produktion und die Forschung an wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen eingestellt. Wie andere Automobilkonzerne zuvor. Grund: keine Nachfrage und zu teuer für die tägliche Elektromobilität. Hingegen soll Wasserstoff vor allem in der Industrie eine wichtige Rolle spielen. Doch auch hier scheint das derzeit eher Wunschdenken. Die Realität sieht so aus: Der Bundesrat hat Ende 2024 eine Wasserstoffstrategie verabschiedet. Mehr nicht.

Batterien sind übrigens langlebig. Wie electrek.co berichtet, hat Kia den Akku eines EV4 einem Härtetest unterzogen. Nach über 110’000 Kilometern auf öffentlichen Strassen und 10’000 Kilometern auf dem Nürburgring betrug die Kapazität immer noch 95%. Die Unternehmensberatung P3 hat in einer Studie anhand realer Messdaten von 7000 Elektroautos herausgefunden: Auf den ersten 30000 Kilometern sinkt die Kapazität einer Batterie auf 95%, danach bleibt sie bis lange stabil - zwischen 200000 und 300000 Kilometer immer noch über 85 Prozent. Die Batterie hält gemäss den Daten deutlich länger als die Garantie oder andere Teile des Fahrzeugs.

«Mit einem vollen Tank fahre ich 1000 Kilometer weit. Das schafft ein E-Auto nicht.»

Seit kurzem hat Lucid den Guinness-Rekord inne. Der US-Hersteller hat mit der Air-Limousine und einer vollen Batterie ohne Nachladen die Strecke von St. Moritz bis München bewältigt: 1205 Kilometer Reichweite also. Auf der Strecke ging es allerdings viel bergab. Der bisherige Rekord lag bei 1045 Kilometern, erbracht in Japan von einem Mercedes. Mal abgesehen von der technischen Möglichkeit: Die Reichweite spielt im Alltag kaum eine Rolle. Pendler legen im Schnitt täglich nur rund 20 Kilometer mit dem Auto zurück. Im Sommer erzielt man aus technischen Gründen eine grössere Reichweite als im Winter. Zudem relativiert sich diese je nach gefahrener Strecke. Die sogenannten «WLT-Werte» in den Verkaufsunterlagen sind immer Laborwerte. Theorie.

«Wir haben den Strom nicht, den es für die Elektromobilität braucht.»

Studien des Bundesamtes für Energie, der Axpo und der ETH Zürich zeigen: Die Schweiz kann die Energiewende bis 2050 eigenständig meistern - durch Wasserkraftausbau, mehr Photovoltaik und effizientere Stromnutzung. Die Elektromobilität ist dabei ein Schlüsselelement. E-Auto-Batterien werden künftig als Puffer zur Netzstabilisierung dienen. Der Stromverbrauch wird bis 2050 durch die Elektrifizierung von Mobilität, Wärme und Industrie auf ca. 90 Terawattstunden pro Jahr ansteigen. Ab 2035 wird es laut Studie über 2.1 Millionen batterieelektrische Fahrzeuge auf den Schweizer Strassen geben. Eine Studie des BFE von 2023 geht alleine bei Personenwagen in dem Jahr von einem Ladebedarf von 7,3 TWh aus. Das entspricht grob zehn Prozent der geschätzten künftigen Stromproduktion.

«Es gibt zu wenig Ladestationen.»

Das stimmt für das Laden zu Hause, zum Beispiel über Nacht. Bisher sind vor allem Mietende und Stockwerkeigentümer im Nachteil, denn sie sind vom Goodwill des Immobilieneigentümers abhängig. Ein Recht auf eine Ladestation gibt es noch nicht. Doch das ändert sich gerade. Im Frühsommer hat das Parlament eine entsprechende Motion an den Bundesrat überwiesen, der nun Vorschläge erarbeiten muss. Solche Langsamladestationen sind wichtig, um den Bedarf an öffentlich zugänglichen Schnellladestationen und damit allzu starken Netzbelastungen zu senken. Insgesamt wächst das Netz rasant. Während es im November 2020 noch 5095 öffentlich zugängliche Ladepunkte an 2484 Standorten gab, stieg gemäss BFE die Anzahl im gleichen Monat von 2024 auf 14'838 und 6777 Standorte - allerdings ungleich verteilt. Die meisten Ladepunkte finden sich in den Kantonen Zürich, Bern und Waadt. Nur 16 Prozent sind Schnelllader mit mehr als 42 Kilowatt Ladeleistung. Im Juni 2025 weist der Branchenverband Swiss E-Mobility mehr als 16500 Ladepunkte aus. Hinzu kommen tausende weiterer nichtöffentliche Ladepunkte. Zum Vergleich: Es gibt in der Schweiz derzeit knapp 3500 Benzin-Tankstellen.

«E-Autos sind zu teuer»

Das war früher so. Heute sind die Einstiegspreise teilweise vergleichbar, so lancierte die chinesische BYD jüngst ein Modell mit mehr als 200 Kilometer Reichweite für 20000 Franken in der Schweiz – durchaus eine Option für Menschen, die keine langen Fahrten am Stück unternehmen. Deutsche Experten erwarten Gleichstand in den nächsten zwei Jahren.

Sind die Einstiegspreise je nach Modell aktuell höher, relativieren sich die Kosten über die gesamte Nutzungszeit. E-Autos fallen weniger aus, weil sie mechanisch viel einfacher als Verbrenner sind. Die Servicekosten sinken stark. Zudem liegen die Stromkosten unter jenen von Benzin, rund einen bis zwei Drittel. Das teuerste sind beim E-Auto wohl die Reifenwechsel.

 

 

Fünftes Rad

Gute Informationsquellen sind wie das fünfte Rad im Kofferraum. Nützlich.

Tipp

Batterie richtig laden

Eine neue Studie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) zeigt: sofortiges Laden auf 100 Prozent ist punkto Batteriealterung und finanziellen Mehrwerten für E-Auto-Akkus am schlechtesten. Die Batterie sollte deshalb nicht dauernd im 100-Prozent-Bereich liegen. Intelligentes Laden hingegen schützt den Akku, etwa Nachladen nur dann, wenn der Strompreis günstig ist oder das Netz nicht überlastet ist. V1G nennt sich die Technologie, die aber noch wenig verbreitet ist. Darum gilt: Stellen Sie ein Ladelimit von weniger als 100 Prozent ein und laden Sie die Batterie nur dann voll auf, wenn unbedingt notwendig.