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Alamy Das Experimental­flug­zeug Tupolev Tu - 155 Ende der 1980er Jah­re bei einem Test­flug. Es entsprach der Tupolev Tu - 154, mit einigen wenigen Än­de­rungen, etwa dem Hörnchen auf dem Leit­werk um Gas abzu­lassen oder den als Aus­buchtungen am Rumpf sicht­baren, aussen­liegenden Gas- und Messleitungen.
Energiespeicher

Bei Tupolew fand die Wasser­stoff-Zukunft vor 30 Jahren statt

Der russische Flugzeug­her­steller war früher dran mit Wasser­stoff-Flug­zeugen und hat sich tiefer in die Materie hinein­gekniet als alle anderen Firmen.

Einmal mehr redet die ganze Welt von Wasser­stoff-Flug­zeugen. Airbus hat sogar drei neue Flug­zeuge mit Wasser­stoff­antrieb bis 2035 ange­kün­digt. Diese Zeit reicht in der Regel kaum, um ein neues Flug­zeug kom­plett neu zu ent­wickeln, inklusive neuer Trieb­werke.

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Ein anderer Her­steller hat es da­gegen schon gemacht. Auf dem Flug­hafen Schukowski bei Moskau stehen sie Flügel an Flügel: alte Bomber­proto­typen, die aus­ran­gierte Sowjet-Concorde Tu- 144 und moderne Jagd­flugzeuge. Dazwischen versteckt sich die unschein­bare Tu- 155, eine modifizierte Tu- 154, das ehemalige Arbeits­pferd der sowjetischen Luft­fahrt. Die letzte Maschine im kommer­ziellen Dienst wurde im Herbst 2020 ausser Dienst gestellt, die Armee fliegt noch ein paar.

«Die Vor­teile von verflüssigtem Erdgas als Treib­stoff sind enorm»


 

Die Tu- 155, vor ein paar Jahren als Aus­stel­lungs­stück wieder her­ge­richtet, flog nicht mit her­kömmlichem Kerosin, sondern mit Wasser­stoff und danach mit verflüssigtem Erdgas (LNG). «Die Vor­teile von verflüssigtem Erdgas als Treib­stoff sind enorm», erzählte Anfang der 1990er-Jahre Wladimir Andreev, Chef­kon­struk­teur von Tupolews Gas­flug­zeugen. «Flüssiges Erdgas hat pro Tonne 15 Pro­zent mehr Brenn­wert, ver­brennt viel sauberer als Kerosin, erzeugt zwei- bis dreimal weniger giftige Abgase, und der Aus­stoss des Treib­haus­gases Kohlen­dioxid wird ebenfalls um 25 Prozent reduziert.» Zudem war es wesentlich billiger als Kerosin, und Nach­schub­probleme hätte es auch nicht gegeben.

Fliegen mit Atomstrom

Die Ursprünge der russischen Gas­flug­zeuge gehen in die 1970er-Jahre zurück. Damals sass den sowjetischen Zentral­planern der Ölschock so tief in den Knochen, dass sie die Ent­wicklung von gas­be­trie­benen Flug­zeugen veranlassten. Man ging davon aus, dass es ums Jahr 2010 praktisch kein Öl mehr, dafür aber billigen Atom­strom in rauen Mengen geben würde, aus dem man mittels Elektro­lyse Wasser­stoff her­stellen könnte. 1975 wurde mit der Entwicklung von Gas­trieb­werken und den dazu nötigen Zusatz­aggregaten begonnen. Im Januar 1989 ging erst­mals eine umge­baute Tupolew 154 als «Tu- 155» in die Luft: Das mittlere ihrer drei Trieb­werke lief wahl­weise mit flüssigem Wasser­stoff oder flüssigem Erdgas. Die Option Wasser­stoff wurde später auf­ge­geben, als sich zeigte, dass die Erd­gas­reserven doch viel grösser sind als angenommen. Die technischen Einrichtungen am Flug­zeug selbst sind für Wasser­stoff und Erdgas praktisch identisch, doch wären für den praktischen Betrieb mit Wasser­stoff nahezu unrealistisch hohe Inves­titionen in neue Infra­strukturen nötig gewesen. Beim Erd­gas dagegen exis­tierten diese Installationen Ende der 1980er-Jahre bereits.

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Das mittlere Trieb­werk der Tu - 155 lief mit Wasser­stoff oder Erd­gas und konnte inner­halb weniger Sekunden auf Kerosin um­ge­stellt werden. Mit dem Bau eines kom­mer­ziellen Fracht­flug­zeuges namens Tu - 156 wurde 1990 begonnen. Es wurde aber nie fertig­ge­stellt und flog schliess­lich als konventionelle Tu - 154.

3000 Kilo­meter Reich­weite, 10 Prozent teurer

Im «Allerheiligsten» von Tupolew, in den Kon­struk­ti­ons­werk­stätten in Moskau, stand damals ein hölzernes Flug­zeug­modell im Mass­stab 1 : 1, an dem die Techniker jedes Detail eines neuen Flug­zeugs aus­pro­bierten und anpassten. So wurden bis vor 25 Jah­ren alle Flug­zeuge entwickelt. Heute gibt’s das nicht mehr. Auch die russischen Her­steller arbeiten mit digitalen Systemen. Das «Mock-up» stellte das zivile Fracht­flug­zeug Tu- 156 dar. Der erste Proto­typ hätte 1998 flie­gen sollen, das Airframe war im Bau. Das Flug­zeug hätte eine Reich­weite von etwa 3000 Kilo­metern gehabt, sicher­heits­halber auch mit Kerosin. Das System mit zwei möglichen Treib­stoffen verteuerte das Flug­zeug zwar um etwa 10 Prozent, erhöhte aber die Fle­xi­bi­li­tät. Bei der Tu- 156 sollte der Gas­tank im Heck unmittel­bar hinter der Kabine liegen. Damit kein Gas in den Fracht­raum ein­dringen kann, ist der Druck in der Kabine immer um 0,05 bar höher als im Tank­abteil. Dort warnen Gas­fühler die Besatzung vor Lecks und explosiven Gas­kon­zen­tra­tionen. Alle elektrischen Leitungen laufen in einem speziellen Kanal aussen an der Bor­dwand entlang. Im Not­fall könnte der Pilot das Gas inner­halb von sieben Sekunden voll­ständig ablassen und die Trieb­werke inner­halb von zehn Sekunden auf Kerosin um­stellen, das wie bei kon­ven­ti­onellen Flug­zeugen in Flügel­tanks unter­gebracht war.

Was passiert, wenn’s brennt?

Bei den ersten Flug­versuchen mit dem Experimental­flugzeug Tu- 155 war die Angst vor Explo­sionen noch so gross, dass das Flug­zeug aus einem Bunker fern­gesteuert betankt wurde. In sieben Jahren Arbeit mit dem System ist nie eine Panne passiert. Die Tu- 155 war in Frankreich und Deutschland, und bei einer Zwischen­landung im slowakischen Bratislava wurde auch einmal Gas nach­getankt. Eine Fabrik schickte einfach einen Tank­lastwagen auf den Flughafen.

Selbst bei einem Crash wären die Folgen nicht so schlimm wie bei brennendem Kerosin, das praktisch nicht zu löschen ist. Vor einer Not­landung könnte der Pilot den Treib­stoff sehr schnell ablassen, und das ver­blei­bende Gas würde sich in wenigen Sekunden verflüchtigen.

«Wir waren Narren. Genetische Ver­suche macht man mit Fliegen. Wir haben es mit Elefanten versucht, darum sind wir gescheitert.»


 

Ursprünglich war der Einsatz von Erd­gas­flug­zeugen für den inner­russischen Ver­kehr vor­gesehen. Ab 1998 hätte der erste Tu- 156-Frachter im Auf­trag des russischen Gas-Mono­polisten Gazprom regelmässig von Moskau nach Uchta, 1400 Kilo­meter nord­östlich von Moskau nahe dem Polar­kreis, fliegen sollen. Doch so weit kam es nie. Als nach 2002 die Öl­preise ins Bodenlose fielen, wollte nicht einmal mehr der «staatliche Bancomat» Gazprom etwas von den Flug­zeugen wissen, und das Projekt wurde ein­ge­stellt. Jahre später, als er schon gegen die 90 ging, sagte Andreev einmal: «Wir waren Narren. Genetische Ver­suche macht man mit Fliegen. Wir haben es mit Elefanten versucht, darum sind wir gescheitert.» Die technischen Grund­lagen für solche Sys­teme waren noch nicht vor­handen, und auch die wirt­schaft­lichen Voraus­setzungen wurden falsch ein­ge­schätzt, obwohl Erdg­as billiger ist als Kerosin und viel sauberer ver­brennt. Das dürfte heute, mit viel kleineren Margen in der Flie­gerei, nicht viel anders sein. Grund­sätzlich ver­dient eine Airline nur mit den letzten zwei Sitz­reihen im Flug­zeug Geld. Alle anderen Sitze muss sie füllen, um die Betriebs­kosten zu decken. Wenn nun ein Treib­stoff­tank 12 Sitz­reihen bean­sprucht, ist ein wirt­schaft­licher Betrieb von vorn­herein aus­ge­schlossen, egal wie billig der Treibstoff ist.

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m Innern der Tu - 155 befindet sich Test-Equipment, mit dem sich verschie­dene Trim-Lagen und Beladungs­zustände simulieren lassen. Das Experimental­flug­zeug wurde in den letzten Jah­ren restauriert, wird aber nicht mehr genutzt.

Halbherzige Versuche in Deutschland

Auch im Westen arbeitet man schon ab Mitte der 1990er-Jahre an Gas­trieb­werken, kon­zen­trierte sich aber von vorn­herein auf den Wasser­stoff. Daimler-Benz Aerospace (DASA), heute ein Teil von Airbus, wollte den damaligen Mittel­strecken-Widebody Airbus A300 – 600 mit auf­ge­setztem Wasser­stoff­tank über der Passagier­kabine bis etwa 2010 zur Serien­reife bringen. Auch Tupolew hatte ein solches Kon­zept, für die sehr viel modernere, aber mittler­weile ein­ge­stellte Tupolew 204. Zudem sollte eine Dornier 328 (ein heute eben­falls aus­ge­stor­bener Flug­zeug­typ) als Experimental­flug­zeug mit zwei Wasser­stoff­motoren von Pratt & Whitney aus­gerüstet werden. Auch das wurde nie realisiert. Das Erd­gas­flug­zeug sahen die deutschen Ingenieure dagegen höchstens als sinn­vollen Zwischen­schritt zum Wasser­stoff – und rümpften über die Leute von Tupolew die Nase. In einem Prospekt begrün­dete DASA mit seltsamen Ar­gu­menten, weshalb Erd­gas­flug­zeuge nur in Russland sinn­voll seien: weil die russischen Erd­öl­vor­räte bis 2010 erschöpft sein würden. Das stimmte nicht und ignorierte den inter­na­ti­onalen Öl­markt. Heute ist Russland vor Saudi-Arabien und nach den USA der welt­weit zweit­grösste Roh­öl­pro­duzent. Das hätte vor 20 Jahren niemand erwartet.

Der Wasser­stoff, aus dem die Träume sind

Wasser­stoff wäre tat­säch­lich ein traum­hafter Treib­stoff. Bei seiner Ver­brennung in einem Flug­zeug­trieb­werk entstehen 95 Pro­zent weniger Stick­oxide als beim Ge­brauch von Kerosin. Alle anderen Ver­bren­nungs­rück­stände wie Russ, Schwefel­dioxid oder Kohlen­dioxid fallen ganz weg. Was bleibt, ist Wasser. Sauberer geht nicht. Zudem hat flüssiger Wasser­stoff gegen­über Kerosin zwar das vier­fache Volumen pro Tonne, aber auch die drei­fache Energie­dichte. Die Nutz­last oder die Reich­weite eines her­kömm­lichen Verkehrs­flug­zeugs liesse sich damit mehr als verdoppeln.

Doch die tech­nischen Pro­bleme sind gross: Reiner Wasser­stoff wird erst bei Tem­pe­ra­turen von minus 253 Grad Celsius flüssig und ist schwierig zu hand­haben. Vermischt mit Luft, brennt er in jeder Kon­zen­tra­tion zwischen 4 und 75 Pro­zent. Erd­gas da­gegen wird schon bei minus 162 Grad flüssig und brennt nur in Kon­zen­tra­ti­onen zwischen 5 und 15 Pro­zent. Die elektro­lytische Teilung von Wasser mittels Gleich­stroms in zwei Teile Wasser­stoff und einen Teil Sauer­stoff ver­schlingt Un­mengen von Elektri­zi­tät. Umwelt­freund­lich ist Wasser­stoff des­halb nur, wenn er mit Strom aus erneu­er­baren Ener­gie­quellen erzeugt wird. Wird zur Wasser­stoff­er­zeu­gung jedoch Atom­strom ein­ge­setzt oder Energie aus so unsinnigen Wasser­kraft­werken wie Itaipu in Süd­amerika oder den chinesischen Super­kraft­werken am Jangtse, ist es um die Umwelt­ver­träg­lich­keit von vorn­herein geschehen.

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Die Tu - 154 war ab 1968 das Arbeits­pferd in der Sowjet­union und Ost­europa. Zickig, grob und schneller als die meisten westlichen Maschinen, wurde es auch eine «Kreuzung zwischen einem Ferrari und einem Traktor» genannt. Der letzte im Passagier­dienst fliegende «Renn­traktor» Tu - 154 wurde bei der Airline «Alrosa» im Herbst 2020 ausser Dienst gestellt. Die russische Armee betreibt aber noch ein paar Flug­zeuge des Typs.

 

Nicht schnell genug realisierbar

Schiebt man einmal alle tech­no­lo­gischen Luft­schlösser beiseite und betrachtet nur die harten Fakten, ist der bis­herige Entwicklungs­stand der Zukunfts­ener­gie Wasser­stoff eher kläglich. Die technischen Pro­bleme sind zwar lösbar, und wasser­stoff­taugliche Flug­zeug­trieb­werke existieren eben­falls. Aber selbst für absolut kon­ven­ti­o­nelle Verkehrs­flug­zeuge dauert die Entwicklungs­zeit 10 bis 15 Jah­re und dann nochmals 10 Jah­re, bis sie in genügender Anzahl fliegen, um einen öko­lo­gischen Effekt zu erzeugen. Bei einer kompletten Neu­ent­wicklung wird das noch länger gehen. Zudem müssten für einen kom­mer­zi­ellen Ein­satz in 15 Jah­ren jetzt schon Trieb­werks­partner, Aus­le­gungen, Sys­tem­partner und vor allem Airlines als Erst­kunden fest­stehen. Davon ist Airbus weit ent­fernt und Boeing sowieso. Beide haben mit ihren Ent­scheiden vor zehn Jahren – statt ein völlig neues Mittel­strecken­flug­zeug für den Volumen­markt zu entwickeln –, ihre veralteten Maschinen etwas auf­zu­möbeln, alle innovativen Pro­jekte in der Zuliefer­industrie zerstört. Damit kommt jedes neue Flug­zeug wohl zu spät, um etwas fürs Klima aus­richten zu können. Schneller realisierbar sind wohl eher E – Fuels, synthetische Treib­stoffe, die aus Wind- und Solar­strom via Wasser­stoff und Methan gewonnen werden und dann in kon­ven­ti­onellen Flug­zeugen verbrannt werden.

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