Mehr als 100 Unternehmen arbeiten am «next big thing», am nächsten grossen Ding, an der sogenannten «Electric Urban Air Mobility», der elektrischen lokalen Fliegerei in den Metropolen. Mit dabei sind viele windige Start-ups, aber auch Entwicklungsabteilungen von Boeing und Airbus. Deren Tochtergesellschaft Airbus Helicopters ist mit einem Marktanteil von 54 Prozent bei Maschinen mit fünf und mehr Plätzen das Schwergewicht der konventionellen Helibranche.
Einige Firmen sind schon ziemlich weit. Das Gerät von Volocopter fliegt bereits: eine kleine Kugelkabine in einer Wolke von Propellern. Der Lilium-Jet ist auch schon in der Luft, mithilfe von 36 einzelnen Antriebseinheiten. Andere haben zumindest lebensgrosse Modelle. Gemeinsam ist allen, dass sie elektrisch und möglichst ohne Pilot Transportdienste anbieten wollen zu Preisen, die kaum höher sein sollen als eine Taxifahrt.
Plausibilität und Logik
Angesichts des leeren Himmels und überfüllter Strassen ist das «Air Taxi» eine verlockende Idee. Technisch möglich machen soll die elektrische Fliegerei vor allem das Konzept von «Distributed Power». Der Antrieb ist über das ganze Fluggerät verteilt, mit vielen kleinen Elektromotoren und Propellern statt eines grossen, lauten Rotors, eines komplizierten Rotorkopfs und eines schweren Getriebes. Gesteuert wird mit einer cleveren Software. Das klingt plausibel, und diese Plausibilität macht bei Venture-Kapitalisten viel Geld locker. Volocopter hat gerade rund 55 Millionen Dollar aufgetrieben, Lilium sucht den acht- bis zehnfachen Betrag.
Allerdings sind Plausibilität und Logik zwei verschiedene Dinge. Air Taxis sind nicht neu. Der Begriff tauchte schon vor genau 100 Jahren auf, als arbeitslose Kampfflieger Lufttaxidienste anboten. Junkers entwickelte ein Volksflugzeug, und auch Henry Ford versuchte sich daran, mit billigen Serienbauteilen vom Fliessband des Ford T. Er scheiterte kläglich. Später ging’s nicht besser. In einem Firmenfilm aus den frühen 1950er-Jahren wirbt der US-Helikopterhersteller Sikorsky augenzwinkernd für den privaten «Family Copter». Papi fliegt zur Arbeit, parkiert das Gerät zwischen den heckflossigen Cadillacs der Kollegen, und auf dem Heimweg tätigt er im Vorbeifliegen noch die Einkäufe für die Ehefrau. Es wurde nichts daraus.
Preis pro Kilogramm
Das alles entscheidende Zauberwort ist in der Aviatik die «power-to-weight ratio», das Verhältnis von Motorenleistung zum Gesamtgewicht. Auch wenn schon einzelne Geräte fliegen, die Batterien sind zu schwer für brauchbare Nutzlasten und Reichweiten. Um einen Liter Kerosin zu substituieren, sind rund 60 Kilogramm Batterien nötig.
Und dann ist da noch das Problem der Serie. Die fünf meistgebauten Flugzeuge der Welt sind die Cessna 172, die Polikarpow Po-2, die Piper Pa-28, der sowjetische Schlachtflieger Iljuschin 2 und das deutsche Jagdflugzeug Messerschmitt Bf-109. Alle fünf Typen erschienen zwischen 1928 und 1960 und erreichten Produktionsvolumen zwischen 33 000 und 44 000 Stück. Für Flugzeuge sind das gewaltige Zahlen. In der Autoindustrie dagegen ist es die Monatsproduktion eines gut laufenden Modells. Was das bedeutet, zeigt die Reduktion auf den Preis pro Kilogramm. Die billigsten Neuwagen (Dacia Logan) kosten in der Schweiz zwischen 11 und 13 Franken pro Kilogramm, das klassische Taxi, die Mercedes-E-Klasse, etwa 50 Franken pro Kilogramm. Ein Airbus A320, konstruiert in den 1980er-Jahren, gebaut aus billigem Alu statt teurer Kohlefaser, kostet rund 2500 Franken pro Kilogramm. Lufttaxis werden deshalb teurer sein als der Airbus. Und für den Kilopreis eines einzigen Sitzes gibt’s einen Dacia, mit dem man auch Taxi fahren kann.
Zu wenig Platz am Himmel
Heute gelten im Sichtflug in der Horizontalen minimale Abstände von 1500 Metern und in der Vertikalen Abstände von 300 Metern. Verteilt man so Air Taxis über einer Metropole wie London, gibt es Platz für kaum zwei Dutzend sich konstant bewegende Fluggeräte. Zudem schränken «no-fly areas» den Platz weiter ein: Gebäude von Armee, Firmen und Behörden. In London etwa liegt das Headquarter des Geheimdiensts MI6 mitten in der Stadt. Der Mitarbeiter mit der Personalnummer 007 ist berüchtigt für die Flurschäden, die er anrichtet, sobald er irgendwo aufschlägt. Da sperrt man besser den Luftraum. Die 54 Prozent Anteil am Helimarkt von Airbus Helicopters sind denn auch in absoluten Zahlen nur gerade 365 ausgelieferte Maschinen, davon 162 vom kleinsten Modell, dem H125, der legendären Écureuil, schon jetzt ein echtes Air Taxi. Das «Eichhörnchen» bietet fünf Personen Platz, ist der erste am Fliessband hergestellte Helikopter, mit über 6000 Einheiten seit 1974. Sein raffinierter starrer Rotorkopf reduziert die Anzahl der von den Air-Taxi-Promotoren so oft genannten beweglichen Teile um drei Viertel. Kostenpunkt: mehr als zwei Millionen Franken.
Die Zahlen stimmen nicht
Das zeigt, wie weit die Drohnen- und Air-Taxi-Träume noch von der Realität entfernt sind. Audi hat bereits wieder aufgegeben und sich von seiner Zusammenarbeit mit Airbus zurückgezogen. Die Automobilbranche rechnet mit spitzem Bleistift. Die Industrialisierung eines einzigen Modells kostet schnell einmal mehrere Milliarden Euro. Da sind selbst die 500 Millionen, die Lilium braucht, ein Witz. Modelle mit weniger als 100 000 verkauften Einheiten jährlich gelten als Fehlschläge. Die Zeit der Lufttaxis für alle wird deshalb wohl noch eine Weile auf sich warten lassen. Das tut sie schon seit 100 Jahren.