Beat Anton Rüttimann baut Brücken aus alten Drahtseilen von Luftseilbahnen. Der Thrill über dem Abgrund gehört zu den Luftseilbahnen. Dass es aber trotz Nervenkitzel nie zur Katastrophe kommt, verdanken die Schweizer Luftseilbahnen strikten Sicherheitsvorschriften. Aufgrund dieser Vorschriften müssen Schweizer Seilbahnen regelmässig ihre Seile austauschen.
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Seit knapp 20 Jahren werden diese Drahtseile, die sich fast immer noch in sehr gutem Zustand befinden, nicht mehr eingeschmolzen.
Toni Rüttimann: Brückenbauer mit Seilbahnleidenschaft
Die Schweizer Seilbahnen schenken sie dem Brückenbaupionier Toni Rüttimann aus Pontresina. Toni «El Suizo», Jahrgang 1967, wollte ursprünglich Bauingenieur werden, brach das Studium an der ETH 1987 aber nach wenigen Monaten ab, um in einem Erdbebengebiet in Ecuador zu helfen – und sah da, dass es in vielen Regionen kaum etwas Wichtigeres gibt als Brücken. Ohne Brücken gibt es keine Nahrungsmittel, keine Treibstoffe, keinen gesicherten Schulweg, keine Medizin.
Lieber sechs Fussgängerbrücken statt einer Strassenbrücke
Brücken bauen konnte er in Lateinamerika auch ohne Studium. Anfangs bettelte er in der Ölindustrie um Bohrturmseile und Pipelineröhren. Dadurch entstanden Fussgängerbrücken mit bis zu 264 Metern Spannweite, deren Konstruktion er laufend verbesserte. Mittlerweile hat er ein hochstandardisiertes System entwickelt, das mit zwei unterschiedlichen Seilmassen für die Trag- und Hängeseile auskommt sowie zwei unterschiedlichen Röhrendurchmessern für die Ufertürme und die Unterkonstruktion der Fahrbahn – dazu die Riffelbleche der Fahrbahn, fertig. Gebaut wird immer in enger Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung. Sie hilft beim Transport, bei den Bauarbeiten vor Ort und steuert in der Regel auch Steine und Zement für die Verankerungen und Auffahrtsrampen bei. Damit stellt Toni Rüttimann sicher, dass die Leute die Brücke auch wirklich wollen und brauchen. Seine Projekte in Lateinamerika waren so erfolgreich, dass er dort als Toni «El Suizo» bekannt ist. Und er baut aus Prinzip keine Strassenbrücken, sondern nur Fussgängerbrücken, obwohl einige auch Autos tragen könnten. Die Begründung ist, er wolle armen Menschen in unmittelbarer Nachbarschaft helfen und nicht die Rolle des Staates übernehmen. Deshalb baue er lieber sechs Fussgängerbrücken statt einer Strassenbrücke.
40 bis 50 Brücken pro Jahr
Als ihn auf einer Veranstaltung in der Schweiz ein kambodschanischer Flüchtling ansprach und sagte, in seiner Heimat fehle es ebenfalls an Brücken, begann Rüttimann, auch in Südostasien Brücken zu bauen – bis zu jenem Moment, als ihn nach einem Jahr in Kambodscha das Guillain-Barré-Syndrom praktisch komplett lähmte. Mehrere Monate war er im Spital und musste sich zwei Jahre lang mühsam zurück ins Leben kämpfen. Selbst stehen und gehen ist für ihn heute keine Selbstverständlichkeit – und das für jemanden, der am liebsten auf Baustellen am Seil hängt, noch bevor unter den Seilen der Fussgängersteg installiert ist. Allerdings, sagt Toni Rüttimann, hatte die Krankheit auch etwas Gutes. In der Zeit seiner Rekonvaleszenz hat er ein Programm für standardisierte Hängebrücken entwickelt, mit dem er die topografischen Massangaben seiner Brückenbauerkollegen in Lateinamerika und Südostasien zu detaillierten Bauplänen für Brücken ausbauen kann. Das erlaubt ihm inzwischen, 40 bis 50 Brücken pro Jahr zu bauen.
Toni «El Suizo» ist die vielleicht minimalistischste humanitäre Organisation der Welt. Toni Rüttimann hat keinen festen Wohnsitz, nicht einmal eine Website, lediglich eine Mailingliste, wie in den frühen 1990er-Jahren. Alles, was er braucht, hat in zwei Taschen Platz – eine für seine Kleider, die andere für seinen Laptop. Und mittlerweile muss er auch nicht mehr um Material betteln. Die für die Ufertürme und die Unterkonstruktion der Hängebrücken nötigen Stahlröhren bekommt er seit 2005 vom weltgrössten Rohrproduzenten Tenaris geschenkt, die Riffelbleche vom argentinischen Stahlkonzern Ternium. Der Seilbahnverband gibt ihm ein Generalabonnement, wenn er in der Schweiz unterwegs ist. Seine Spenderliste für Seile liest sich wie das Who’s who der Schweizer Bahnen und Bahnbranche. Toni Rüttimanns Masseinheit bei den Spenden ist nicht der Franken, sondern Meter und Tonnen. Bisher hat er von 70 Unternehmen mehr als 1100 Tonnen Drahtseile erhalten. Es gibt kaum eine Schweizer Bahn, von der er noch kein Seil weiterverwendet hat, und auch der Schweizer Drahtseilhersteller Fatzer gehört zu seinen Gönnern.
Kleine Brückenbauerfamilie
Mittlerweile, Stand 1. Juli 2020, sind 841 Brücken fertiggestellt. 16 sind im Bau und 78 in der Planungsphase. Die Brücken erleichtern das Leben von 2,2 Millionen Menschen. In Südostasien sind oft die Hälfte der Nutzer einer Brücke Kinder und Jugendliche auf dem Weg zur Schule. Wie lange er das noch machen will und kann, weiss er nicht. Vor zwei Jahren hat er bei der Einweihung seiner 777. Brücke in Myanmar seine Partnerin, die Lehrerin Palin, geheiratet, und mittlerweile haben die beiden eine kleine Tochter, Athina. Künftig will Toni Rüttimann vermehrt in Europa Brücken bauen – allerdings nicht physisch, sondern Brücken zwischen Menschen, mit Vorträgen, bei denen er für sein Anliegen wirbt.
Trotzdem gibt es in der Schweiz eine von ihm inspirierte Brücke. Die spektakuläre Passerelle de Corbassière auf dem Gebiet der Walliser Gemeinde Bagnes ist auf 2365 Metern über Meer die höchstgelegene Fussgängerbrücke Europas. Sie ist 210 Meter lang und überquert in 70 Metern Höhe den Corbassière-Gletscher. Die Brücke wurde nicht von ihm geplant und gebaut. Aber Toni Rüttimann ist ihr symbolischer Pate, weil der lokale Bergbahnbetreiber Téléverbier das erste Bergbahnunternehmen war, das ihm 2004 die nicht mehr benötigten Seile schenkte. Auf der Passerelle de Corbassière lässt sich erleben, wie die Brücken von Toni Rüttimann funktionieren und welche Erleichterung sie darstellen, wenn Kinder sie auf dem Schulweg zweimal täglich überqueren. Und wenn immer in der Schweiz bei einer Seilbahn eine grosse Revision fällig ist, dann entsteht aus den alten Seilen irgendwo in der Welt eine neue Brücke – dank Toni «El Suizo» Rüttimann.
Galeeren, Genfer Furcht und Berner Behäbigkeit. Das Lateinersegel war eine Revolution, aber eine schleichende, leise. Es ist ein dreieckiges Segel, das längs des Schiffs geführt wird und an einer etwa mittig steil schräg am Mast befestigten Spiere befestigt ist.
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