Der letzte Verbrenner
Eine Ehrenrettung der Ahnungslosen: Während die Welt längst umsteigt, steht der «homo fossilis» trotzig im Stau der Geschichte und ruft: «Das wird man ja wohl noch tanken dürfen!»
Eine Ehrenrettung der Ahnungslosen: Während die Welt längst umsteigt, steht der «homo fossilis» trotzig im Stau der Geschichte und ruft: «Das wird man ja wohl noch tanken dürfen!»
Es ist früher Morgen im Jahr 2025. Die Sonne geht auf über einem Feld von Solarpaneelen, Windräder drehen sich majestätisch – und irgendwo zwischen E-Autos und Wärmepumpen steht ein Mann mit einem Dieselkanister in der Hand und grollt, dass das alles «nicht funktioniert». Er ist der letzte seiner Art: der Fossilromantiker.
Er trägt die Fahne des Fortschrittsverweigerers mit Stolz. In seiner Garage steht ein SUV, der mehr CO₂ ausstösst als eine Kleinstadt in Bhutan, und auf seinem Stossfänger prangt ein Aufkleber: «Energie kommt nicht aus der Steckdose!» Ein Satz, der mittlerweile nur noch in Paralleluniversen oder Facebook-Kommentarspalten Verwendung findet.
Der Fossilromantiker fürchtet das Windrad. Es verdreht ihm die Sicht, raubt ihm den Schlaf und gelegentlich auch die Argumente. Er nennt es «Landschaftsverschandelung», während er mit dem Auto zum Discounter fährt, um dort Erdbeeren aus Südspanien zu kaufen. Windräder, so ist er überzeugt, drehen sich nur, weil für ihre Herstellung «irgendwo in China ein Dieselgenerator läuft».
«Wind und Sonne sind ja nicht grundlastfähig!»
Und überhaupt: «Früher war alles besser!» Damals, als man beim Tanken noch den Duft der Freiheit roch – also jenen süsslichen Geruch von Benzindämpfen, der seither im Museum für Industriegeschichte konserviert wird. Heute riecht Fortschritt nach nichts. Nach Wind. Nach Sonne. Nach Erfolg. Und das ist dem Fossilromantiker zutiefst suspekt.
Er glaubt fest daran, dass «die Physik» auf seiner Seite steht. «Wind und Sonne sind ja nicht grundlastfähig», ruft er in Talkshows, die kaum noch jemand schaut. Dass dieselbe Physik inzwischen Batterien, Speicher und Netzsteuerung hervorgebracht hat, hält er für Hexenwerk.
Er nennt das Stromnetz «instabil» – ein Begriff, der in seiner Welt alles erklären kann: von der schlechten Laune bis zur schlechten Rendite. Wenn irgendwo in Europa kurz der Strom flackert, sieht er darin den endgültigen Beweis, dass man ohne Kohle verloren sei. Dass Kohlekraftwerke selbst ständig ausfallen, verschweigt er aus Anstand – oder Unkenntnis, die Grenzen sind fliessend.
Er wartet auf die Wiederkunft der Kernkraft wie andere auf den Messias. «Die neuen Reaktoren sind sicher», verkündet er mit der Inbrunst jener Überzeugung, mit der er einst versicherte, die Schweiz sei durch ihr ländliches Idyll geprägt. Dass Atomstrom längst teurer ist als Solarenergie – Nebensache. Hauptsache, es klingt nach Technik und Männlichkeit.
Seine Lieblingsphrase: «Wir müssen technologieoffen bleiben!» – eine charmante Umschreibung für «Ich will, dass alles so bleibt wie früher». Technologieoffen heisst bei ihm: offen für alles, solange es schön brennt, raucht und glüht.
Sein Lebensmotto: Lieber im Gestern verharren als im Morgen ankommen.
Während in China jährlich Millionen E-Autos vom Band rollen, zählt er stolz die Tankstellen im Ort. «Da kann man wenigstens schnell nachtanken», sagt er, während er an der Kasse 1.90 Franken pro Liter Super bezahlt und die Kassiererin ihn fragt, ob er Punkte sammeln will.
«Der wahre Preis der E-Mobilität.»
Die Revolution, die er ignoriert, läuft längst in Echtzeit: Märkte, Netze, Technologien – alles dreht sich schneller, als er «Wirtschaftsstandort» sagen kann. Aber das stört ihn nicht. Denn wer einmal beschlossen hat, dass Fortschritt gefährlich ist, dem kann selbst die Realität nichts mehr anhaben. Im Zweifel nennt er diese einfach «grüne Propaganda». So schützt man sich vor Erkenntnis: mittels Empörung.
Während Windkraftanlagen über Solarfeldern surren und Wärmepumpen effizienter werden, sitzt der Fossilromantiker im Keller und schreibt Leserbriefe. Er glaubt, die Welt ginge zugrunde, weil Menschen anfangen, sie zu retten.
Er hält Vorträge im Freundeskreis über «den wahren Preis der E-Mobilität», die er selbstverständlich nie ausprobiert hat. Wenn jemand erwähnt, dass China längst die Batterieproduktion dominiert, sagt er: «Ja, aber was ist mit den seltenen Erden?» – und fühlt sich, als hätte er gerade ein Geheimnis gelüftet, das nur er kennt.
Im Jahr 2050 wird man ihm einen eigenen Raum widmen. Zwischen Verbrennungsmotor und Kohlekraftwerksminiatur wird eine Wachsfigur stehen: ein Mann mit verschränkten Armen, der «Früher war alles besser» murmelt. Schulkinder werden vorbeiziehen und sich wundern, warum jemand so sehr an etwas festhalten konnte, das schon zu seiner Zeit brannte – und zwar nicht im guten Sinne.
Wenden Sie sich an die blendende Zukunft.
Vielleicht wird ein Guide erklären, dass Revolutionen nicht von Idealisten gewonnen werden, sondern von Pragmatikern. Und dass es in jeder Epoche jene gibt, die zu spät bemerken, dass der Fortschritt längst über sie hinweggerollt ist – leise, effizient und elektrisch.
Am Ende steht der Fossilromantiker an der Zapfsäule, die längst ein Relikt ist. Der Automat verlangt eine Karte, die es nicht mehr gibt, und im Display blinkt: «System ausser Betrieb – bitte wenden Sie sich an die Zukunft.»
Er tut, was er immer getan hat: Er flucht über Bürokratie, über Politik, über den Strompreis. Und als er in den Rückspiegel blickt, sieht er die Sonne. Sie scheint unverschämt hell.
Vielleicht begreift er in diesem Moment, dass die Zukunft keine Ideologie ist, sondern schlicht eine Rechnung, die aufgeht. Doch wahrscheinlich denkt er nur: Verdammt, jetzt blendet sie auch noch.
Andreas Turner ist Kommunikationsspezialist und Inhaber der 2025 gegründeten Zero2050 GmbH. Unter der Marke ENERGY BY TURNER konzipiert, textet und produziert er Print- und Online-Formate, namentlich im Einsatz für die Energiewende sowie im Mobilitäts- und Cleantech-Bereich. Mit dieser Kolumne reitet er sein Steckenpferd, die diskrete Satire.