Flims hat eine eigene Ölquelle
Das Wasser der Kraftwerksanlagen in Flims erzeugt nicht nur wertvollen Strom, sondern dient dem Dorf zusätzlich als Wärmequelle.
Das Wasser der Kraftwerksanlagen in Flims erzeugt nicht nur wertvollen Strom, sondern dient dem Dorf zusätzlich als Wärmequelle.
Es gab Zeiten, da träumte in der Schweiz jede Gemeinde von einer Ölquelle auf ihrem Gebiet. Mittlerweile sind die meisten froh, dass hier die Geologie kein Öl hergibt. Flims hat aber etwas gefunden, was genauso wertvoll ist, nur sauberer: ein Anergie-Netz. Solche Systeme liefern Primärenergie für Fernwärmenetze. Wasser mit relativ tiefen Temperaturen wird so mittels Wärmepumpen für Heizzwecke nutzbar gemacht. Anergie-Netze sind vor allem in der Nähe von Seen populär geworden. Es geht aber auch mit Wasser aus bestehenden Wasserfassungen von Kraftwerken, wie das neue Anergie-Netz in Flims zeigt.
Flims und die Region Sardona sind ein bekanntes Karst- und Felssturzgebiet. Hier verschwindet Wasser plötzlich in Dolinen und Höhlen und taucht an einem völlig anderen Ort wieder auf. Geologisch betrachtet sind etwa 20 Prozent der Schweizer Oberfläche verkarstet. Karst ist die Bezeichnung für alle Gesteinsformen, die durch Lösungsverwitterung (Korrosion) in Kalk- und Gipsgesteinen entstehen. Wasser und CO2 aus der Luft bilden dabei eine zersetzende Lösung, die über Jahrtausende auch für unsere Höhlensysteme verantwortlich sind. In der Schweiz existieren über 8000 Karsthöhlen. Das Hölloch im Kanton Schwyz ist mit rund 220 km die achtlängste Höhle der Welt. Bohrungen für Erdsonden sind in stark verkarsteten Gebieten, wie in Flims, häufig nicht mehr möglich, weil man nie weiss wohin sich das Wasser verflüchtigen würde. Zudem können solche Bohrungen in geologisch empfindlichen Regionen im Untergrund unkontrollierbare Prozesse auslösen. Das ist beispielsweise im süddeutschen Städtchen Staufen passiert, wo sich der Untergrund unter der Altstadt nach einer Sondenbohrung für eine Wärmepumpe beim Rathaus bis zu einem Meter gehoben oder gesenkt hat. Dutzende Häuser wurden buchstäblich zerrissen. Und auch in der Region Flims Laax Falera hat sich nach Arbeiten im Untergrund, insbesondere mit dem Bau des Umfahrungstunnels einiges verändert. So schwankt der Wasserstand verschiedener Bergseen in Flims, insbesondere jener des malerischen Caumasees nun viel stärker als früher.
Doch für Regionen mit solch schwierigem Untergrund hat Flims nun eine andere Art der Erdwärme entdeckt. Denn Wasser, das aus den Karstsytemen austritt und ohnehin schon auf die eigenen Kraftwerke geleitet wird, lässt sich mit Wärmetauschern von rund sieben Grad auf zwei Grad abkühlen, wie Martin Maron, Geschäftsleiter von Flims Electric erklärt. Hochleistungswärmepumpen bringen es dann auf rund 75 Grad und speisen damit ein neues Fernwärmenetz. Seit 1904 steht mitten im Dorf Flims das Wasserkraftwerk Stenna. Neu wird deshalb mit diesem Wasser nicht nur Strom produziert, sondern vor der Rückgabe in den Flembach auch noch wertvolle Wärme gewonnen.
Flims Electric baut das Fernwärmenetz in mehreren Etappen. Mit der ersten, bereits fertiggestellten Etappe wurde als grösster Abnehmer das neue Stenna-Zentrum, ein riesiges Bauwerk das mit einem Budget von 200 Millionen Franken erstellt wurde, erschlossen. Das Stenna-Zentrum verfügt über Läden, Restaurants, ein Hotel, Ferienwohnungen, Kino und Arztpraxen. Dazu kamen weitere grosse Liegenschaften wie Schulen und Bergbahnen in der näheren Umgebung. Sie alle erhalten nun nebst ökologisch produziertem Strom auch ihre Heizwärme direkt aus dem Berg – dank der Wärme des bereits gefassten Wassers der Kraftwerke. Lediglich für die extremen Spitzen und als Notheizung gibt’s noch einen Ölheizkessel. Doch der war laut Martin Maron im letzten Jahr während weniger als einem Prozent der Zeit im Einsatz
Für die nun folgenden Erweiterungen ist eine Wärmeenergiezentrale geplant, mit der auch die Deckung der Lastspitzen mit einem erneuerbaren Energieträger gewährleistet werden kann. Als Ergänzung zu den Hochleistungswärmepumpen, welche mit Wasser aus den Karstsystemen versorgt werden, soll bei der neuen Bauetappe eine Holzschnitzelheizung die Aufgabe zur Spitzenlastdeckung in den kalten Wintermonaten übernehmen. Sie wird ihr Brennmaterial direkt aus dem Flimser Wald beziehen.Insgesamt kann Flims Electric mit ihren Fernwärmeprojekten jährlich rund zehn Gigawattstunden erneuerbare Wärme aus dem Berg holen. Das entspricht der Wärmeenergie von einer Million Litern Heizöl pro Jahr, und das allein mit der cleveren Erschliessung bereits vorhandener Bauwerke. Das ist wie eine eigene Ölquelle. Nur besser.
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