Davos und die Wissenschaft
In einer Zeit, in der es immer mehr zu entdecken gab, wurde Davos schnell vom Ort der Kranken auch zum Ort der Forschenden – nicht nur in der Medizin.
In einer Zeit, in der es immer mehr zu entdecken gab, wurde Davos schnell vom Ort der Kranken auch zum Ort der Forschenden – nicht nur in der Medizin.
Alexander Spengler, der Gründer von Davos als Kurort, experimentierte in seinen allerersten Jahren in Davos noch mit Rotweinkuren und stundenlangem Liegen im Stall beim Vieh – weil er vermutete, dass das den Einheimischen die Tuberkulose ersparte. Diese erste Idee war erfolglos – aber doch der Anfang der empirischen Forschung in Davos, als Spengler erkannte, dass es vielleicht die trockene Höhenluft sein könnte.
Medizinische Forschung war deshalb schon vom allerersten Moment an Teil der Davoser Welt. Dabei ging es anfangs vor allem um Lungentuberkulose und andere Atemwegserkrankungen. Die Sanatorien überboten sich gegenseitig mit Luxus und neuester Ausstattung; jeder Chefarzt entwickelte für seine Klinik eine noch bessere Therapie – und starb dann meist an Krebs, weil das hochmoderne Röntgengerät oft unmittelbar neben dem Chefarztbüro installiert wurde.
Die ernsthafte Erforschung des Davoser Klimas begann 1906. Der Königsberger Chemiker Carl Dorno war mit seiner tuberkulosekranken Tochter nach Davos gekommen. Er begann, sich mit Wetter und Klima zu befassen, um herauszufinden, was denn dieses gesunde Klima ausmacht. Aus seinen Messungen entstand das Physikalisch-Meteorologische Observatorium Davos, das Dorno bis in die 1920er-Jahre leitete, als die Hyperinflation sein Vermögen in Deutschland vernichtete. Das Observatorium ist heute noch eine führende Organisation in der Erforschung von Strahlung und hat internationale Experimente mit Wetterballons und Satelliten sowie auf Raumstationen durchgeführt. Davos war deshalb über Jahrzehnte der Luftkurort mit dem weltweit am besten erforschten Klima.
Als kleine Abteilung des Physikalisch-Meteorologischen Observatoriums Davos entstand 1935 nebenan in einer Schneehütte auch das Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung. Sowohl Touristiker als auch Kraftwerksbauer und Eisenbahner drängten nämlich auf ein besseres Verständnis des Schnees und der Entstehung von Lawinen sowie auf Möglichkeiten, sich davor zu schützen. Aber weil im Frühling 1935 nicht nur das Forschungsobjekt, sondern auch gleich das ganze Forschungsgebäude wegschmolz, verlegten die Lawinenforscher ihre Arbeit in jenem Sommer in eine Baracke direkt neben der neu eröffneten Bergstation Weissfluhjoch der Parsennbahn. Das «Weissfluhjoch Davos» ist noch immer allen Radiohörern ein Begriff fürs Lawinenbulletin, obwohl das Institut schon längst auch eine führende Organisation in der Wald- und Klimaforschung ist. Seit 1996 residiert es nicht mehr oben auf dem Joch, wo die Mitarbeitenden jeweils den Heimweg mit Ski oder Gleitschirm zu bewältigen hatten, sondern unten in Davos Dorf, wo sie mit dem Bus hinkommen.
Ebenfalls klimabedingt war der Beginn der Asthma- und Allergieforschung ab 1960. Die Entdeckung der Antibiotika hatte schon grosse Stücke aus dem Kurtourismus herausgebrochen. Da wollte man der schon älteren Erkenntnis auf den Grund gehen, weshalb sich Menschen mit allergischem Asthma in Davos oft recht gut erholten. Man fand heraus, dass ein wichtiger Treiber der Allergien und des dazugehörigen Asthmas die Hausstaubmilbe ist, die in Davos aufgrund der trockenen Luft kaum existiert. So entwickelte sich die Allergie- und Asthmaforschung, die immer noch in der Hochgebirgsklinik Davos Wolfgang ansässig ist. Diese und die Klinik Davos der Zürcher Rehazentren sind die letzten beiden verbliebenen Kurkliniken von einstmals über 30 solchen Einrichtungen.
Wer irgendwann wieder gesund war – egal, ob nach der Schwindsucht oder einer Allergie –, wagte sich auf die Piste oder die alte Schatzalp-Bobbahn – und landete gleich wieder im Spital, diesmal mit einem anderen Problem. Die vielen Knochenbrüche auf Pisten, Schlittel- und Eisbahnen ermöglichten es den ohnehin anwesenden Medizinern, sich einmal mit etwas anderem zu beschäftigen als nur mit Lungenerkrankungen. Sie begannen, alle möglichen Systeme zu entwickeln, mit denen gebrochene Knochen wieder zusammengesetzt werden können – oft in enger Kooperation mit dem Spital Davos, wo jeweils die Unfallopfer eintreffen. Die Forschung findet im Davoser AO Research Center statt (AO = Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) und hat zur sarkastischen Erkenntnis geführt, dass es keinen besseren Ort gibt, um sich etwas zu brechen, als Davos.
Insgesamt gibt es am Forschungsstandort Davos sechs international tätige Institutionen mit rund 400 Mitarbeitenden. Und sie gehen alle mit der Zeit. So verfügen die Schnee- und Lawinenforscher über einige der längsten Klimadatenreihen der Welt und forschen an vorderster Front über Klimaveränderung und tauenden Permafrost. Und die Asthmaforscher in Davos Wolfgang bieten Rehakuren für Long-Covid-Betroffene an. Alexander Spengler hätte es in einer Pandemie nicht anders gemacht.
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