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Jed Owen
Wirtschaft

Der andere Antrieb für die Landwirtschaft

In den letzten 80 Jahren hat sich die weltweite Landwirtschaft von «Biopower only» mit Pferden und Ochsen als Antrieb zur praktisch komplett fossil angetriebenen Branche entwickelt. Diesel und Benzin sind allgegenwärtig auf jedem landwirtschaftlichen Betrieb. Und alles, was es für ein Brot oder ein Joghurt braucht, fährt Dutzende Male Traktor, bis es schliesslich im Supermarkt oder in der Bäckerei bereitsteht.

Nun müsste die Landwirtschaft zurück – zur Nachhaltigkeit, zu möglichst keinem fossilen Verbrauch. Das kann allerdings auch nicht heissen: zurück zum Pferd. In den grossen Agrarländern der Welt wurde vor rund 100 Jahren in Regionen, in denen traditionell gewirtschaftet wurde, bis zu einem Drittel der bewirtschafteten Fläche und entsprechend ein Drittel des Arbeitsaufwands und des Personals nur für die Produktion von Futter für die Zugtiere verwendet. Kein Wunder, ging vor allem ab den 1930er-Jahren die Mechanisierung in vielen Gebieten sehr schnell, weil Arbeitseinsatz und Landbewirtschaftung plötzlich sehr viel effizienter wurden.

In den letzten 80 Jahren hat sich die weltweite Landwirtschaft von «Biopower only» mit Pferden und Ochsen als Antrieb zur praktisch komplett fossil angetriebenen Branche entwickelt. Diesel und Benzin sind allgegenwärtig auf jedem landwirtschaftlichen Betrieb. Und alles, was es für ein Brot oder ein Joghurt braucht, fährt Dutzende Male Traktor, bis es schliesslich im Supermarkt oder in der Bäckerei bereitsteht.

Eine Frage der Flächeneffizienz

Die naheliegendste Lösung für die Substitution von Dieseltreibstoff ist die Produktion eigener Energie auf dem Hof. Die erste Idee waren Biofuels – aus Raps und Mais. Die grossen Vorteile davon sind, dass es auf derselben industriellen Schiene läuft wie Diesel, keine Änderungen am Maschinenpark verlangt und zusätzliche Märkte für die Landwirte bedeutet. Nachteile sind die Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion, ein hoher Wasserverbrauch sowie eine lausige Flächeneffizienz. In Zeiten von Kriegen, Dürren und drohender Lebensmittelknappheit dürften Biofuels deshalb eine immer kleinere Rolle spielen.

Dagegen ist die Flächeneffizienz bei Photovoltaik (PV) etwa hundertmal besser als bei Biofuels. Ein Quadratmeter Solarpanels produziert mehr als hundertmal so viel Energie wie ein Quadratmeter Ölsaat und benötigt kein Wasser. Scheunen- und Hofdächer oder Solarzäune können so viel Strom erzeugen, wie wenn ein grosser Teil der bewirtschafteten Fläche eines Betriebs mit Energiepflanzen bestellt würde. Dementsprechend sind elektrische Lösungen die Favoriten bei den Landtechnikunternehmen.

Von aussen her herantasten

Während sich in der Autoindustrie der Vorreiter Tesla mit grossen, luxuriösen Wagen an das Thema herangemacht hat, tastet sich die Landtechnikbranche erst einmal mit kleineren Systemen an die Elektrifizierung heran. Der Schweizer Traktorenpionier Rigitrac ist einer der Ersten. In seinem Werk in Küssnacht SZ entstanden im Lauf des Jahres 2022 zwei Vorserienmaschinen eines neuen elektrischen Traktors. Dieser kann alles, was ein konventioneller 50-PS-Traktor auch kann. Nach mehrjährigen Tests mit einem ersten Prototyp wurde nun die Serienversion entwickelt. Dazu gehört laut Theres Beutler – die gemeinsam mit drei Schwestern das von ihren Eltern gegründete Unternehmen leitet – auch ein selbst entwickeltes Spezialgetriebe, das die hohe Drehzahl des Elektromotors reduziert. Nun geht’s los mit einer ersten Zehnerserie. Kunden für die rund 200 000 Franken teure Maschine gibt es schon verschiedene. Oft sind es Gemeinden, die für ihre Kommunaldienste einen möglichst leisen Geräteträger suchen, aber auch kommerzielle Pferdeställe, die keine Dieselfahrzeuge mehr in ihren geschlossenen Reithallen wollen.

Der Preis des elektrischen Rigitrac liegt nach wie vor über dem Budget eines durchschnittlichen landwirtschaftlichen Familienbetriebs. Doch wie bei den Elektroautos könnte sich das in den nächsten Jahren ändern. Rigitrac-Gründer Sepp Knüsel sieht elektrische Traktoren schon lange nicht nur als Transportmaschinen, sondern als integralen Bestandteil eines Energiekonzepts, vor allem dann, wenn bidirektionales Laden möglich wird. Damit dient der Traktor auch als Speicher für die Solaranlage, kann im stationären Betrieb andere Aggregate, etwa den Melkstand, antreiben und vermeidet als Pufferbatterie einen teuren Netzausbau für die grosse Solaranlage des Hofs. Wie das gehen kann, zeigt Rigitrac selbst, wo der Strom von der PV-Anlage auf dem Werksdach praktisch für die ganze Produktion reicht.

Dieselelektrischer John Deere

Dieser Ansatz dürfte für alle Landtechnikhersteller die Motivation zur Elektrifizierung sein – etwa beim Marktleader in der Schweiz, Fendt, oder auch bei John Deere. Fendt lanciert ab 2024 einen ähnlichen 50-PS-Traktor für denselben Markt wie Rigitrac. Auch John Deere wird elektrisch. Der US-Konzern hat Ende 2021 den österreichischen Batterie- und Steuerungsspezialisten Kreisel Electric gekauft und dürfte damit Elektrotraktoren in die grosse Serie bringen. Den Anfang macht bei John Deere allerdings eine eher periphere Idee: Ähnlich wie bereits in der Fliegerei, etwa bei der Boeing 787, werden hydraulische Komponenten konsequent durch elektrische ersetzt. Das spart Gewicht und führt zu Einsparungen bei den Produktionskosten. Der Antrieb erfolgt zwar immer noch durch einen Dieselmotor, der aber einen Generator statt einer Hydraulikpumpe antreibt. Wenn später auch die Primärenergiequelle elektrisch wird, passen schon alle Komponenten, und die Preise nähern sich dem erträglichen Bereich.

Die Elektrifizierung muss nicht unbedingt beim grössten Gerät auf dem Betrieb anfangen. Ebenfalls mit «Hofenergie» läuft der neue Einachs-Geräteträger Uri des Schweizer Traditionsunternehmens Rapid. Während früher jeder Landwirt auf der Alp noch ein paar Kanister Benzin für den Motormäher hatte, lässt sich der Uri auch mit den Solarzellen laden, die es auf der Alp ohnehin schon seit Jahrzehnten gibt. Die Batterie ist austauschbar, reicht aber problemlos für einen ganzen Arbeitstag mit Mähen und Schwadern. Der Vorteil einer solchen Elektrifizierung ist, dass die finanzielle Einstiegsschwelle zur elektrischen Landwirtschaft deutlich tiefer liegt als bei einem ausgewachsenen Traktor, selbst wenn der Preis höher ist als für einen konventionellen Motormäher. Trotzdem kann mit einem solchen Geräteträger schon ein grosser Teil der Arbeiten auf dem Hof oder in der Gemeinde elektrifiziert werden, zumal Einachs-Geräteträger oft sehr viele Betriebsstunden leisten und teilweise grössere Fahrzeuge ersetzen können.

Der ökologische Aspekt und die Abkehr von importierten fossilen Brennstoffen sind immer nur ein Teilbereich der Elektrifizierung. Gerade im Kommunalbereich, der mittlerweile bei einigen Herstellern mehr als die Hälfte des Umsatzes ausmacht, ist die Beseitigung von Geruchs- und Lärmbelästigungen genauso wichtig. Aus Sicht der Landwirtschaft sind solche Kunden zudem ein grosser Vorteil. Sie finanzieren die Entwicklung und ermöglichen die hohen Stückzahlen, die in den nächsten Jahren auch die Preise in der Landtechnik deutlich reduzieren dürften.

New Holland mit Biomethan

Ähnliches passiert gerade bei einem Energieträger, der immer etwas im Schatten steht: beim Gas. Seit 2021 bietet New Holland den weltweit ersten Traktor an, der mit Flüssiggas (LNG), komprimiertem Gas (CNG) oder Biomethan betrieben werden kann, den T6.180 Methane Power. Der Sechszylindermotor leistet 180 PS und zielt somit auf ein völlig anderes Marktsegment als die 50-PS-Maschinen von Rigitrac und Fendt. Er soll exakt die gleiche Performance erbringen wie das Diesel-Pendant und auch preislich vergleichbar sein. Entwickelt hat ihn Fiat Powertrain (FPT) in Arbon, eine Firma, die aus der Motorenabteilung des ehemaligen Schweizer Lastwagenherstellers Saurer hervorgegangen ist.

Ähnliche Aggregate hat FPT bereits für Lastwagen der Marke Iveco geschaffen. Dort sind die Motoren seit 2020 im kommerziellen Einsatz und sind auf Langstrecken elektrischen Fahrzeugen bezüglich Wirtschaftlichkeit und Ökologie noch immer überlegen. Die Landwirtschaft profitiert mit dem gasbetriebenen New Holland direkt vom Forschungsetat und vom Produktionsvolumen der Nutzfahrzeugbranche. Biogas ist ein wichtiger Pfeiler der Dekarbonisierung. Für Landwirte mit Biogasanlagen ergibt sich die Möglichkeit, entweder direkt mit entsprechenden technischen Einrichtungen mit Gas von der eigenen Anlage zu fahren oder aber mit einer Biogasanlage Gas ins Gasnetz zu speisen und im Gegenzug Gas bei einer Tankstelle zu beziehen.

Gasbetriebene Traktoren dürften zudem einen weiteren Anreiz bilden, in hofeigene Biogasanlagen zu investieren, die entweder Gas ins Gasnetz einspeisen, mittels eines Blockheizkraftwerks (BHKW) Strom und Wärme erzeugen oder direkt einen Gastraktor antreiben. Solche Kombinationen haben zudem den Vorteil, dass sie Saisonschwankungen ausgleichen können: Im Winter braucht es mehr Strom und Heizung, dafür steht der Traktor öfter still. Dann läuft das BHKW. Im Frühling und im Sommer, wenn der Heizbedarf abnimmt und die Solaranlage auf dem Scheunendach mehr Strom erzeugt, fährt der Traktor mit dem Gas – und allenfalls der kleinere 50-PS-Hoftraktor mit dem Strom der Solaranlage.

Die Landwirtschaft als Energiedienstleister

Die unterschiedlichen Systeme für eine Abkehr von fossilen Treibstoffen stehen deshalb nicht in Konkurrenz zueinander. Oft können sie sich gegenseitig ideal ergänzen. Damit ist man wieder fast beim «eigenen Treibstoff» wie vor 100 Jahren – und doch eine Runde weiter. Landwirtinnen und Landwirte werden immer mehr zu Energieunternehmern, deren Anlagen weit wichtigere Funktionen haben als nur die Selbstversorgung. Wer auf seinem Betrieb Solar- und Biogasanlagen sowie Maschinen mit Gas- und Elektroantrieben mit den dazu nötigen Speichersystemen auf und neben dem Fahrzeug betreibt, leistet einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes.

Biogas ist leicht speicherbar, BHKW lassen sich schnell ein- und ausschalten, Batterien in Traktoren und Geräteträgern können Elektrizität speichern und wieder abgeben. Das gibt den Stromnetzbetreibern die nötige Flexibilität, um andernorts mehr Wind- und Solaranlagen stabil am Netz zu halten. Als Faustregel rechnet man, dass pro installiertem Kilowatt Leistung an erneuerbaren Erzeugern fünf Prozent regelbare Leistung zur Stabilisierung installiert werden muss, wobei diese Leistung nur sehr selten abgerufen wird. Jeder Hof, der sich dank einem mit Alternativenergien angetriebenen Maschinenpark auch als Energiedienstleister aufstellt, ermöglicht es dem Netzbetreiber, die 20-fache Leistung der eigenen Anlagen stabil am Netz zu halten. Und das ist ein wesentlich grösserer Beitrag zur Energie- und Klimawende als die angepflanzte Hofenergie der Pferde-und-Ochsen-Zeit.

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