«Die Lösungen sind da – wir müssen sie nur nutzen»
Bertrand Piccard, mit seiner Solar Impulse Stiftung ein Pionier der nachhaltigen Energienutzung, über die Chancen der Schweiz auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Bertrand Piccard, mit seiner Solar Impulse Stiftung ein Pionier der nachhaltigen Energienutzung, über die Chancen der Schweiz auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Technische Lösungen gibt es viele. Doch es brauche jetzt bessere Rahmenbedingungen.
Die Schweiz hat den ersten Schritt in Richtung Klimaneutralität bis 2050 unternommen. Aber sind wir nicht zu spät?
Bertrand Piccard: Es ist zu spät, um alle Schäden zu vermeiden, aber nicht, um eine Katastrophe zu verhindern, vorausgesetzt, wir handeln energisch. Wir sind nicht mehr am Anfang des Jahrhunderts, als wir zwischen opferbereiter Ökologie und zerstörerischer Industrie wählen mussten. Die Lösungen sind da, um die Umwelt auf wirtschaftlich rentable Weise zu schützen.
Mit einem neuen Heizsystem etwa. Doch reicht das?
Der Erfolg des ökologischen Wandels hängt weniger von der fortlaufenden Entwicklung neuer Technologien ab als von der Schaffung von Rahmenbedingungen, die es den Menschen ermöglichen, diese Innovationen anzunehmen und damit alle Vorteile zu geniessen, die damit einhergehen. Es gibt bereits eine Vielzahl von Lösungen, die die Umwelt schützen und wirtschaftlich rentabel sind. Nun müssen wir die Gesetzgebung modernisieren, um ihre Markteinführung zu erleichtern und damit Gemeinden und Unternehmen in ihrem Übergang zu unterstützen.
Es gab bis jetzt keine gemeinsamen verbindlichen Vorgaben?
Ja. Die einzelnen Netzbetreiber ermittelten, wo ein Ausbau oder eine Stärkung des Netzes nötig war, wobei sich die Netzbetreiber selber die Szenarien und mögliche energiewirtschaftliche Entwicklungen vorgaben. Eine schweizweite Betrachtungsweise gab es nicht. Dabei wurde oft kritisiert, dass die Netzbetreiber unnötig viele Stromleitungen planen. Mit dem Szenariorahmen und den weiteren Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Um- und Ausbau der Stromnetze («Strategie Stromnetze») ändert dies.
Das ist die Kernidee Ihres Klimaplans.
«Prêt à Voter» ist eine Initiative der Solar Impulse Stiftung und schlägt über 25 gesetzgeberische und regulatorische Empfehlungen vor, um die Umsetzung von sauberen Lösungen zu erleichtern, Abfall 16zu reduzieren und zur wirtschaftlichen Entwicklung, zur Verbesserung der Kaufkraft und zur Sicherheit der Versorgung in der Schweiz beizutragen. Das ist im Interesse aller Parteien und überwindet politische Gräben.
Ihre Stiftung listet in einer Datenbank über 1500 klimafreundliche Lösungen auf. Welche liegt Ihnen besonders am Herzen?
Es gibt keine Lösung allein, die die Welt verändern wird. Der Zauber besteht darin, dass es so viele Lösungen gibt. Es ist das, was ich die Piranha-Theorie nenne. Wenn dich ein Piranha beisst, spürst du es kaum. Aber wenn mehr als 1500 Piranhas dich innerhalb von drei Minuten angreifen, bist du ein Skelett. Jede Lösung beisst ein bisschen von der Verschmutzung, ein bisschen vom CO₂ ab, und am Ende hast du eine moderne, effiziente und saubere Welt.
Wo sehen Sie aber die Schwerpunkte?
Bei Lösungen, die unkompliziert eingeführt werden können und nur eine Aktualisierung der Gesetzgebung erfordern. Ich denke da etwa an die EV-Ladelösung SMATCH und die Managementlösung TIKO. Mit Joulia-Twinline können wir verschwendete Wärme beim Duschen zurückgewinnen – um aktualisierten Energievorschriften für Massnahmen zur Abwärmerückgewinnung in Schweizer Haushalten zu entsprechen. Und Starklab für das Recycling von Industrieabgasen. Ein Mindestschwellenwert für den Verbrauch von erneuerbarer oder zurückgewonnener Energie in den Zielvereinbarungen könnte einen zwingenden Bedarf für solche und ähnliche Technologien schaffen.
Ist Technologie die einzige Chance, unsere Klimaziele zu erreichen?
Nein, Technologie allein wird das Problem nicht lösen. Wir müssen das rechtliche Rahmenwerk modernisieren. Wenn sich das Klima ändert, müssen sich die Gesetze ändern. Normen und Standards müssen aktualisiert werden, um Innovationen zu fördern. Wir müssen erkennen, dass die derzeitige Gesetzgebung immer noch die legale Verwendung alter Systeme, Prozesse und Geräte zulässt, die verschmutzend und ineffizient sind und unsere Ressourcen verschwenden. Um über diesen Punkt hinauszugehen, ist es notwendig, Standards weiterzuentwickeln und die Lösungen, die existieren, aber nicht bekannt sind oder zu wenig genutzt werden, auf den Markt zu bringen.
Warum sollten wir nicht auf die nächste Generation von Reaktoren warten?
Missverständnisse entstehen aus der Hoffnung auf Wunderlösungen. Wir investieren Milliarden in die Kernfusion, anstatt die gleiche Hitze in tiefen geologischen Schichten zu suchen. Wir emittieren weiterhin so viel CO₂, wie wir wollen, in die Atmosphäre, in der Hoffnung, dass die Technologie es später eliminieren kann. Wir stellen uns sogar vor, dass wir die Atmosphäre künstlich abkühlen können, um die künstliche Erwärmung auszugleichen, die wir verursachen, und riskieren dabei, Zauberlehrling zu spielen. Auch hier gibt es so viele falsche Gründe, heute nichts zu tun, dass ein Teil der Bevölkerung beginnt, den Begriff «technologische Innovation» zu fürchten und gegen «technophilen Solutionismus» zugunsten eines ebenso illusorischen «Degrowth», des Abbaus von Wirtschaftswachstum, zu kämpfen.
Wie definieren Sie Innovation? Was, denken Sie, lohnt sich zu fördern?
Innovation ist eine Notwendigkeit, wenn sie ein Ausfluss menschlichen Genies auf dem Weg zu einer besseren Lebensqualität ist, aber eine Katastrophe, wenn sie das Abwarten und Paralysieren rechtfertigt, indem man auf neue Lösungen wartet, die erfunden werden müssen. Technologie kann die Menschheit genauso retten, wie sie sie zerstören kann. Alles hängt davon ab, was wir damit machen. Innovation schaffen wir nicht mit Stipendien, Pitches und Inkubatoren, die Start-ups in das Tal des Todes drängen, sondern indem wir diese auf den Markt ziehen. Wie? Indem wir die Notwendigkeit schaffen, Innovationen zu nutzen. Wir brauchen daher dringend modernere und viel anspruchsvollere Normen und Standards, die Energie- und Ressourceneffizienz, Kreislaufwirtschaft und Respekt für die Biodiversität vorschreiben.
Sind Sie optimistisch für die Schweiz jetzt? Werden wir sie erfolgreich modernisieren?
Wenn alle die Realität der Zahlen und des Fortschritts sehen, dies alles zugunsten der Wirtschaft, der Ökologie und der Lebensqualität der Menschen, werden die Lügen, die während des Abstimmungskampfs verbreitet wurden, vergessen sein. Es ging nicht darum, über die Realität des Klimawandels zu diskutieren, sondern darum, eine lebenswichtige Energiewende einzuleiten, ohne dass die Menschen etwas opfern müssten. Nun, um Ihre Frage zu beantworten: Es ist eine Bewegung, eine Evolution … eine Gelegenheit, die ergriffen werden muss.
Der 1958 geborene Lausanner Psychiater und Entdecker sowie Cleantech-Pionier entstammt einer berühmten Familie von Forschern und Wissenschaftlern in Stratosphäre und Tiefsee. Mit dem Solarflugzeug Solar Impulse umrundete er 2015 bis 2016 die Welt. Mit seiner Solar Impulse Stiftung will er Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels fördern.
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